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das kulturelle überformat
Nr. 28 / 2. November 2009
#Interview mit Billy Childish
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dossier: Aussenseiter
Interview mit Billy Childish

eine attraktive Gegend. Sie übersehen die weggeworfenen Matratzen und abgehalfterten Prostituierten und die anderen düsteren Typen, die hier auf und ab laufen. Sie spüren nicht die Stimmung, die in der Luft liegt. Alles, was sie wahrnehmen, sind die hübschen alten Häuser. Sie wissen nicht, dass wenn der Herbst kommt und die Blätter von den Bäumen auf der anderen Strassenseite fallen, die alten Möbel und alles, was da sonst noch da hinein geworfen wird, zum Vorschein kommen. Aber das ist ein ganz normaler britischer Zustand. Das ist der Grund, warum die britische Armee immer ganz gut war. Weil dieser Schlag von Leuten für sie kämpft.

In der Mitte der Stadt steht wie eine schreckliche riesige Metapher ein von einem mehrspurigen Einbahnsystem umzingeltes Einkaufszentrum, das noch dazu Pentagon heisst. Das ist schon brutal.

Ja, es ist sehr brutal. Als sie das Pentagon bauten, haben sie das Herz der Stadt zerstört, aber das geschah in den Siebzigern, als die meisten britischen Städte zerstört wurden. Da es hier keine nennenswerte Intelligenz gibt, findet sich auch niemand, der sich dagegen ausspricht, dass immer noch fortwährend schöne Häuser abgerissen werden. Chatham ist wirklich so etwas wie ein kleiner Experimentierkasten für Gemeindebeamte und Stadtplaner. Wahrscheinlich bemerken sie diese Dinge nur, weil Sie aus dem Ausland

kommen. Den Engländern, die hier her kommen, fällt das jedenfalls nicht auf. Als ich ein Kind war, pflegten wir Baustellen zu verwüsten, wann immer irgendwer versuchte, in den Wäldern zu bauen, wo wir spielten. Ich hatte immer schon eine grosse Abneigung gegen die Zerstörung der Vergangenheit. Als wir in den Milkshakes spielten, hatten mein Freund Mick (Hampshire) und ich die Idee, eine «Let It Rot»-Partei zu gründen, deren Programm darin besteht, dass man alles verrotten lässt, aber nichts abreissen darf. Neues zu bauen war schon erlaubt, aber die meisten dieser Neubauten sind doch bloss spekulativ, anstatt wirklich Bedürfnisse zu erfüllen. Chatham wurde früher scherzhalber Cementium genannt, wegen der Unmengen an Zement, die hier hergestellt wurden. Bei uns in den North Downs gibt es unglaublich viel Kreide. Unser Schlagzeuger Wolf hat nahe einer dieser fantastischen alten Minen gewohnt, deren Grund oft überflutet war.
Da gab es alle möglichen, eigentümlichen Tiere, die sonst nirgendwo mehr Fuss fassen können. Seltene Arten von Molchen zum Beispiel. Man konnte in diese Mine hinabsteigen, und es fühlte sich an, wie ein Land, das die Zeit vergessen hatte. Und natürlich haben sie versucht, die Mine zuzuschütten und Häuser darin zu bauen. Ich bin dagegen. Und wahrscheinlich werden jetzt viele Leute sagen: «Ja, aber der wäre wohl auch gegen die Mine gewesen.» Das stimmt. Aber wenn etwas einmal seine Bestimmung