Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 31 / 30. April 2010
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
  3/4
gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

Sprücheklopfen aufgelegt (später entschuldigt er sich per e-Mail für seine «Unfreundlichkeit»). Es sei ein grauenhafter Job, sagt er, nach mehr als zwanzig Jahren das sorgfältig zusammengestellte Sortiment auf diese Weise verschleudern zu müssen. Schuld sei Amazon, meint er. Und die Aufgabe des Preiskartells, das den Supermärkten erlaube, Bücher zu einem Schleuderpreis zu verkaufen, der noch den Händlerpreis unterbiete, den Simon im Einkauf zu bezahlen habe. Darum waren im «Kilburn Book Shop» in den letzten Jahren weder die Harry Potter-Bücher noch die Time Out-Städteguides zu kaufen gewesen – ein kleiner Protest dagegen, dass man, hätte man mithalten wollen, zu einem Verlustgeschäft gezwungen worden wäre. Der Laden überlebte noch lange, weil die Lehrer des nahen College hier ihre Lehrbücher en masse bestellten, und weil das Sortiment auf die Umgebung ausgerichtet war – also: viel Irish, black interest, gay und zuletzt Polish. Und weil viele Kunden wie ich einfach wegen der geistigen Luftveränderung kamen, die der Austausch von absurden Gerüchten, Stories über Barbra Streisand und Anekdoten über Autoren, die den Shop besuchten, mit sich brachte.

Das Ende des «Kilburn Book Shop» wird Veränderungen bringen, die – so befürchte ich – tiefschürfender sind, als es auf den ersten Anblick scheinen mag. Ein Bücherladen weniger, einer noch dazu mit nicht gerade umfassendem Angebot, da geht man halt einfach zum nächstbesten Laden weiter, oder? Zum «Waterstones» in Hampstead zum Beispiel, der bestimmt zwanzig Mal grösser ist und dazu über ein ausgiebiges Sortiment von obskurer Literatur in englischer Übersetzung verfügt. Oder nach Willesden zum «Willesden Book Shop», der wie der Laden in Kilburn Simon gehört, der noch immer hofft, wenigstens diesen retten zu können. Oder in den Laden in Queen's Park, der auch klein und eher fein ist. Aber: für all diese Läden muss ich ins Auto, in den Bus oder den Zug steigen. Nun muss ich, noch bevor ich mich auf den Weg mache, den Entschluss fassen: jetzt will ich ein Buch kaufen. Das ist etwas