Haltung ist zu verstehen – als einen Verrat an der in punkto ehelicher Treue blütenreinen Katherine auffasste. Auch die Abenteuerlust seiner Brüder, die sich nicht zurückhielten, wenn schöne Groupies zum Tanz baten, gefiel ihm nicht. Es kam vor, dass er einem Mädchen, das von einem seiner Brüder die Telefonnummer zugesteckt bekommen hatte, in einer stillen Ecke den dringlichen Rat gab, den Zettel zu vernichten: der Bruder würde ihr nur Schmerzen zufügen. Es kam auch vor, dass Michael nach dem Konzert ein Mädchen aus dem Publikum in seine Garderobe bringen liess. Wenn sich dieses ausziehen wollte, stoppte er es: er wollte nur reden. Taraborrelli zitiert eine anonym bleiben wollende Familienfreundin, die berichtet, wie ein gewisses Mitglied der Jackson-Familie eines Tages zwei Prostituierte angeheuert habe und sie ein paar Stunden lang mit Michael in ein Zimmer gesperrt hätte mit der Order, «es» ihm beizubringen. In welche Richtung auch immer Michaels sexuelle Präferenzen hätten gehen können, die Auswahl, die sich ihm in Wirklichkeit – sprich: im Rahmen seiner Familie – bot, war klein. Seinem Glauben folgend war ein aussereheliches, sexuelles Verhältnis unmöglich. Masturbation war ebenfalls verboten und die Homosexualität erst recht ein Tabu. Katherine kannte da kein Pardon: «Michael ist nicht schwul», sagte sie. «Unsere Religion verbietet es.» Wie repressiv und gewalttätig das Klima in der Jackson-Familie war, macht eine Passage im Dokumentarfilm
von Louis Theroux deutlich. Im Verlaufe eines Interviews spätnachts in einem Hotelzimmer stellt Theroux dem 73jährigen Joseph Jackson lapidar die Frage, ob er es gern sehen würde, wenn sich Michael mit einer Partnerin, die er liebte, zu einem geordneten Familienleben niederlassen würde. Der in der Ecke sitzende Majestik Magnificient (er gibt sich als «persönlicher Magier» der Jackson-Familie aus) fragt: «Meinen Sie eine Ehefrau?» «Mit einer Freundin oder einem Freund halt», entgegnet Theroux in der typischen Art eines modernen, liberalen Briten, dem es plötzlich in den Sinn kommt, dass nicht die ganze Welt heterosexuell ist. «Was sagen Sie da? WAS sagen sie da?», empört sich Majestik sehr majestätisch: «Jetzt soll Michael auch noch schwul sein?!» «Sie haben mir die FALSCHE Frage gestellt», brummt Joseph Jackson dazwischen, aber gleich übernimmt Majestik wieder das Wort: «Sie sitzen Michaels VATER gegenüber! Man sitzt nicht da und fragt Michaels VATER, ob Michael einen Freund habe! Wie viel respektloser können Sie noch werden? Das ist eine unglaubliche Beleidigung!» «Aber warum denn eine Beleidigung?», fragt Theroux mit Unschuldsmiene. «Warum ist es eine Beleidigung?!», entgegnet Joseph ungläubig. «Weil wir nicht ans Schwulsein glauben! Ich kann Schwule nicht AUSSTEHEN!»
Es ist nicht anzunehmen, dass Joseph in jüngeren Jahren eine tolerantere Meinung