Ich weiss andererseits gar nicht, warum ich das so ernst nehme. Schliesslich gehört es ja zur Folklore, da kommen Touristen angereist und beleben auf diese Weise immerhin die Kreuzberger Gastroökonomie. Denen muss man dann schon ein paar krasse Scharmützel bieten. Und wenn an die vierzigtausend Leute feiern, geht es halt auch wüst zu. Man muss ja die Politrhetorik der Büchsenbierkämpfer nicht ernst nehmen.
So parkt man also am 29. Mai seinen Wagen woanders und bleibt am 1. Mai zu Hause, nachdem man ohnehin, wie ich, bis morgens in der touristisch irrelevanten Neighborhoodbar aufgelegt hat. Abends bin ich dann doch nach Mitte, weil Kreuzberg so voll war und die richtigen Touristenorte dagegen geisterhaft verlassen. Als ich zu später Stunde zurück wollte, fand ich den Bezirk komplett abgeriegelt. Mit meinem Begleiter, einem gerade aus New York zurückgezogenen Susan-Sontag-Biografen, fuhr ich also einmal aussen rum. Die Mühlenstrasse lang, mit der sogenannten Eastsidegallery und der O2-Arena. Über den Treptower Park, in dem das schicke Sowjetkriegerdenkmal mit dem zerbrochenen Hakenkreuz steht, ans Ufer durch Neukölln, das man jetzt zur Kreuzberger Seite jenseits der Sonnenallee hin Kreuzkölln nennt, damit sich die Bewohner nicht fühlen müssen, als hätten sie keine Wohnung in Kreuzberg gefunden. Tausend kleine Bars mit prachtvollen Konzepten eröffnen wöchentlich, es geht zu wie beim Dinnerwettbewerb im Privatfernsehen. Tresen allein genügt nicht mehr, man muss schon dauernd irgendwelche Konzepte erfinden. Die Konzeptfreizeit löst den Eventfetischismus ab.
Auch ein Grund warum ich so gern und auch am ersten Mai in Mitte beim Nörgelwirt stand. Der hat jetzt zwar cool ein Café an seine Bar mit der schlichten Hausnummer als Namen gebaut, aber dort sieht es genau so understated, um nicht funktional zu sagen, aus wie in der Bar selbst. Tresen, Getränke, Musik, Personal, Gäste. Das ist ein Konzept nach meinem Geschmack.