Mentalität eines puristischen Folkie an die Arbeit: viele Folksänger insbesondere auch in Grossbritannien sangen ihre Traditionslieder in der Überzeugung, sie würden dadurch das Volksgut vor der Zerstörung durch kommerzielle Interessen retten und so eines der wenigen Sprachrohre, das sich die Arbeiterklasse leisten konnte, vor dem Untergang bewahren. Dylan hatte diesen Anspruch bis zu einem gewissen Grad auch. Aber seine Perspektive war sonst eher von den durch und durch freidenkenden Autoren geprägt worden, die vom City-Lights-Bücherladen in San Francisco verlegt wurden: nebst den Beatniks wie Allen Ginsberg, William Burroughs oder Jack Kerouac also auch Leute wie der urbane Frank O’Hara.
Darüber hinaus reichte Dylans Horizont vom Mad-Comic über die Filme von Fellini bis zur Bibel und Little Richard. Niemand vor ihm – Dylanologen würden hinzufügen: und nach ihm – hat jemand ein umfassenderes, individuelles Wissen in den Dienst der Musik gestellt. Spätestens mit «Blonde on Blonde» (1966) öffnete er der restlichen Welt die Augen für den gewaltigen Freiraum, den es im Wilden Westen des singenden Songschreibens zu entdecken galt. Über seine künstlerische Genialität hinaus hatte Dylan auch den Zeitgeist im Griff. Nachdem die Jugend in den fünfziger Jahren die Freuden der Massenbewegung für sich entdeckt hatte, kam sie in den Sixties auf den Geschmack der Individualität. Mit ihren regenbogenhaften Fetzen erfanden die Hippies erstmals ein Gewand, das Platz hatte für Eigenwilligkeit, ja, sie sogar forderte, und sie dennoch einer Uniform nicht unähnlich sogleich einer Bewegung zuordnete.
Singende Archetypen
«Blonde on Blonde» öffnete Tür und Tor für eine Flut von individualistischen Singer/Songwritern. Dabei schälten sich aus der Masse in Nordamerika gewisse Archetypen heraus, die quasi für verschiedene Massen von Individualisten sprachen.