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das kulturelle überformat
Nr. 31 / 30. April 2010
#Interview Mark E. Smith
  7/9
musik
Interview Mark E. Smith

Jahren nicht gesehen habe, in einem Pub, den ich regelmässig besuche, seit meinem 17. Lebensjahr. Der Pub ist total leer – ausser einem Haufen blutjunger Skinheads am anderen Ende des Raumes. Draussen ist eine Affenkälte, und so denke ich mir: in die Kälte hinaus geh ich nicht, nur um eins zu rauchen. Ich rolle mir also die Zigarette, und kaum hab ich sie angezündet, kommt so ein 18jähriger mit breiten Schultern rübergeschlurft und sagt: «In MEINEM Pub wird nicht geraucht!» Was sagt man zu so einem Typ? «Du erfasst die Situation nicht, Freundchen! In dem Stil wird es bald keinen Pub mehr geben!» Genau das hätte ich ihm sagen sollen.
 
Dabei ist der Pub so etwas wie der Leim der Gesellschaft. Genauso wie der Corner Shop. Aber auch die Corner Shops weichen langsam aber sicher den anonymen Einkaufszentren am Stadtrand. Statt sich auszutauschen sitzen sie jetzt alle daheim vor ihren Laptops.

Ja, genau so ist es! Tja, und dann sitze ich irgendwo in einem Pub, und es kommen Leute herein, setzen sich an meinem Tisch, sie haben keine Ahnung, wer The Fall sind, aber sie ahnen irgendwie, dass ich ein Songschreiber bin, den gewisse Leute schätzen, und dann geht’s los: «Sie sind doch Songschreiber, warum schreiben Sie zu dem Thema kein Lied?» Selbst in London geht es

mir so. Verstehen Sie, was ich meine? Meine Antwort darauf: «Warum zum Teufel sagen Sie das zu mir? Warum? Bin ich etwa Bob Geldof? Schliesslich seid ihr es, die diese Arschlöcher ins Parlament gewählt habt! Warum geht nicht ihr hin und unternehmt etwas dagegen?»

Haben Sie sich jemals als politischen Songschreiber verstanden?

Nein, nicht im Geringsten.

Andererseits sind Sie zumindest in Grossbritannien immer als ein Mann wahrgenommen worden, der sich nicht gescheut hat, seine Meinung auszudrücken – und diese Meinung war auf politischer Ebene oft ziemlich brisant.

Jedes Album reflektiert natürlich die Umgebung und die Zeit, in der es entstanden ist. Das mag ambitioniert klingen. Aber es ist doch so, dass ein Album das Geschehen reflektieren sollte. Andererseits gelingt dies einem natürlich nie zu hundert Prozent.

Stellt ein Album jeweils eine Seite aus dem Tagebuch in Ihrem Kopf dar?


Ja, ja, ja. Und es muss auch den Sound der Zeit repräsentieren. Die meiste populäre Musik hat keinerlei Kontakt zu dem, was in der Gesellschaft gerade vor sich geht.