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das kulturelle überformat
Nr. 31 / 30. April 2010
#Interview Mark E. Smith
  6/9
musik
Interview Mark E. Smith

Oh nein, ganz und gar nicht. In meinen Augen ist Sport für viele Männer ein Weg, sich von den Realitäten des Lebens abzuwenden. Früher habe ich die Sache sehr ernst genommen. Die Gewalt rund um den Fussball hat mich fasziniert. Und noch in den 1980er Jahren wollte kein Rockmusiker über Fussball reden. Ich erinnere mich genau. 1985 wollte weder die Indie-Szene noch die Punkszene irgendetwas mit Soccer zu tun haben. Und jetzt? Jetzt schreien alle: «Mein Team ist Chelsea!» und solche Sachen. Ich meine: Fucking hell, was ist denn hier passiert?

Angesichts der Tatsache, dass Premier League-Fussball vom Mittelstand aufgesogen worden ist, stellen sich zwei Fragen. Erstens: wovor will der Mittelstand flüchten? Und zweitens: Wohin flüchtet die Working Class, wenn der Fussball weg ist?

Das sind in der Tat interessante Fragen. Na ja, viele Kids aus dem Arbeiterstand werden wohl zum alten Zeitvertreib zurückkehren und rumreisen. Die Welt sehen. Kriminalität halt. Eine der ganz wenigen guten Publikationen, die ich zu Fussball noch finden kann, ist «When Saturday Comes», das Soccer-Magazin. Ein bemerkenswertes Heft, denn darin geht es – wie mir scheint – mehr um die Zuschauer als um die Spieler. Ausserdem gibt es Berichte aus der ganzen Welt. In jedem Land ist es anders.

Mir ist der Humor von «WSC» sympathisch. Da wird mit der ganzen Passion eines lebenslangen Fans über einen Klub in der fünften Division rapportiert – aber immer schimmert das Bewusstsein durch, dass man sich der leichten Lächerlichkeit des Unterfangens vollkommen bewusst ist.

Und dabei wird viel mehr ausgesagt über das heutige Grossbritannien als es jeder endlos lange Artikel in der «Times» über den Zustand der Nation fertigbringt. Ganz zu schweigen von den Parlamentariern mit ihren Reden.

Fussball ist zur Geldmaschine geworden. Genauso wie die Pubs – mehr und mehr hören sie auf,  Orte des Zusammentreffens und des Austausches  zu sein. Die Musik wird so laut gemacht, dass man darin nur noch saufen kann…

Gut, dass Sie das erkannt haben. Sie sind ein Beobachter. Die kuriose Sache mit den Briten ist die: sie sehen es nicht. Sie erfassen nicht, was da verloren geht. Dieses ganze Rauchverbot in den Pubs. Typisch britisch. Man hat es einfach akzeptiert. Ich sage dies nun schon seit dreissig Jahren: In England nimmt man die schlechten Seiten von Amerika und die schlechten Seiten von Europa, aber man ignoriert die guten Seiten von Amerika und die guten Seiten von Europa. Letzthin sass ich mit einem alten Kumpel, den ich seit zehn