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das kulturelle überformat
Nr. 31 / 30. April 2010
#Interview Goldfrapp
  6/10
musik
Interview Goldfrapp

Goldfrapp: Natürlich ist es schön, wenn man Bäume vor dem Fenster hat. Aber am Ende macht es keinen Unterschied, wo man sich aufhält. Es kommt nur darauf an, wohin man in seinem Kopf reist.

Sie bringen die Leute auch gern zum Tanzen, oder?

Gregory: Wir tanzen selbst gern. Tanzen ist was Gutes, auch wenn ich es mehr und mehr in meinem Kopf mache. Aber das ist, was wir an der Glanzzeit von Giorgio Moroder immer schon so geschätzt haben. Da gab es diese Periode, wo eine wunderbare Ehe zwischen dem Songformat und Tanzmusik bestand. Das ist heutzutage ein bisschen abhanden gekommen. Wenn man in Clubs geht, dann spielen die nicht so viele Songs, sondern Tracks, die sehr reich an Wiederholungen sind. Da gibt es bloss kurze wiederkehrende Motive. Offenbar geht das von der Annahme aus, dass Leute, die tanzen, das Gedächtnis eines Goldfisches haben. Ich mag dagegen die Reisen, auf die einen die grossen Tanzplatten der späten Siebziger bis frühen Achtziger zu schicken pflegten. Das ist etwas, was uns beim Produzieren dieser Platte vorgeschwebte.

Diese Tanzmusik genoss damals aber kein allzu grosses Prestige. Sie wurde als Wegwerfware betrachtet.

Gregory: Oh ja, «Saturday Night Fever», das war so eine Art von Musik für das Proletariat, das die ganze aufgestaute Spannung einer Woche auf dem Tanzboden auslassen durfte. Es war ein notwendiges Übel, um die Untertanen im Schach zu halten.

Leute, die sich für subversiv hielten, hatten dementsprechend wenig Respekt dafür. Nach meiner Erinnerung klaffte da nicht nur ein tiefer Graben zwischen Punk und Disco. Auch Musiker, die sich für Grooves interessierten, sahen Disco wegen seiner straighten Beats oft als unintelligente Groove-Musik an.


Goldfrapp: Ich glaube, das war noch bis vor kurzem so. In den Neunzigern gab es vor allem Jungen, die Gitarre spielten und schwarze T-Shirts trugen. Es war nicht erlaubt, sich herauszuputzen, wenn man ein ernsthafter Musiker sein wollte. Das war auch bei Portishead oder Massive Attack so, bis tief in die Neunziger hinein. Und dann kamen wir und die Scissor Sisters daher, und plötzlich konnte man sich aussergewöhnlich anziehen und dabei dennoch anspruchsvolle Musik machen. Es gibt einen tief verwurzelten Snobismus gegenüber so Dingen wie Synthesizern, die keine «echten» Instrumente sind. Selbst wenn jetzt alle vom Elektropop reden, ist davon immer noch ein bisschen was vorhanden.