Frühlingserwachen
«Have mery, Lord, on me/ regard my bitter weeping». Was sich anlässt wie ein besonders zerschmetterter Bluestitel, ist in Wahrheit die Übersetzung einer Arie aus Bachs Matthäus-Passion, deren vier-LP lange Wucht wie jedes Jahr auch diesmal die Trübnis und das Tanzverbot des Karfreitags immerhin mit schmerzvoller Dramatik erfüllte. Umso mehr als sich die wunderbaren Choräle mit Blick auf die Kirche vor meinem Fenster entfalten.
Mein Verhältnis zur Religion ist dabei von einem pragmatischen Agnostizismus geprägt. Pragmatisch, weil ich mich gerne vom Unglauben abbringen lasse, wenn ich, eines hoffentlich recht fernen Tages, direkt aus der Grube in den Himmel komme. Die islamischen Jungfrauen nehme ich dann auch mit. Bis dahin halte ich religiöse Diskussionen für Zeitverschwendung und beschäftige mich lieber mit eindeutigen und beweisbaren Dingen.
Wie etwa mit der Idiotie der verkniffenen und lustfeindlichen Blödmänner, die sich organisierterweise um eine höhere Intelligenz streiten, deren Existenz allein schon deswegen zu bezweifeln ist, weil sie ihre angeblichen Fans und Stellvertreter nicht ordentlich in den Hintern tritt und ein bisschen Intelligenz weitergibt. Die Kirche vor meinem Fenster ist übrigens dem heiligen Emmaus gewidmet, nachdem sich die Helfergemeinde in der Tradition Abbé Pierres benannt hat. Über ihrem gut hundert Jahre alten Eingang stehen die bangen Worte: «Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden.»
Den vielen Arbeitslosen, den Trinkern und den Junkies Kreuzbergs, die nun, wo es langsam Frühjahr wird, wieder vermehrt im gegenüberliegenden Görlitzer Park auftauchen, hat die Bitte nicht viel geholfen. Übrigens auch nicht dem Gebäude selbst, das immerhin die meisten Sitzplätze aller Berliner Kirchen hatte, bis alles ausser dem Turm im Krieg zerbombt wurde – ohne freilich,