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das kulturelle überformat
Nr. 8 / 2. Oktober 2007
#Porträt Tony Wilson
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dossier: Factory Records
Porträt Tony Wilson

England das Recht auf Verleumdungsklagen. Nicht nur deshalb: ein Meeting mit Tony Wilson verspricht süffige Zitate, witzige Philosophien und einen klaren Blick hinter die Kulissen des Musikgeschäftes.

Tram-Haltestelle G-Mex, Treppe hinunter, über die Strasse, da ist die Atlas Bar (siehe Bild). «Ein historischer Ort», heisst es im Manchester-Bar-Guide, «früher verkehrten hier die Köpfe der Hacienda.» Rund ein Dutzend Jahre sind jetzt verstrichen, seit Factory an den Schulden erstickte, zehn Jahre, seit die Hacienda ob den Gangstern, die sich in ihren Korridoren wüste Schläger- und Ballereien lieferten, die Segel streichen musste. Tony Wilson sitzt am Fenster der Atlas Bar, vor ihm aufgebaut ein bewundernswertes Arsenal neuester Mini-Gadgets aus der Kommunikationsindustrie. «Moment», sagt er, «ich muss noch eine Mail schreiben. An Moby.» Er sei eine Anomalie unter Musikbusiness-Kapitänen, hat er einmal gesagt, «und zwar insofern, als ich der einzige bin, der kein Geld hat.» Irgendwie sieht man ihm das an. Der Anzug war vielleicht einmal teuer – in den achtziger Jahren. Ums Handgelenk und um den Hals hängen schmale Silberketten, ebenfalls wie in den Achtzigern. Er ist in eine Wolke von Parfüm gehüllt, man tippt auf Yves-Saint-Laurents «Jazz». Das e-Mail an Moby abgeschickt, plaudern wir zuerst über das neue Album von New Order, das in Kürze erscheint...

Tony Wilson: Phil Oakey von The Human League ist der Meinung, er singe heute in einer Tribute-Band. Ich finde das eine sehr ehrliche Einschätzung der Lage. Ich habe schon lang die Ansicht vertreten, New Order sollten endlich aufwachen und akzeptieren, dass auch sie eine Tribute-Band sind. Genauso wie Human League. Und es gibt keine bessere Human-League-Tribute-Band als Human League selber. Aber ich muss zugeben, dass es auf dem neuen New-Order-Album ein paar ausgezeichnete Stücke hat. Ich bin bass erstaunt!