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das kulturelle überformat
Nr. 7 / 4. September 2007
#Hintergrund
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dossier: Reggae
Hintergrund

Geschichtsschreibung waren dafür ein, zwei bekannte Figuren in der westindischen Exil-Szene verantwortlich; die Tatsache, dass ein bunter Haufen von Swinging-Sixties-Typen, die in Notting Hill eine Gratisschule für Iren und Jamaikaner gestartet hatten (nicht zuletzt dank Benefizkonzerten von Pink Floyd), ebenfalls mittaten, wird heute kaum je erwähnt.

Zwischen Stuhl und Bank

Bereits hatten es auch ein paar Reggae-Singles in die Pop-Charts geschafft. Die ersten paar – Millies «My Boy Lollipop» (1964), Prince Busters «Al Capone», The Skatalites «Guns of Navarone» und Desmond Dekkers «007 (Shanty Town)» (1967) – waren in den Tanzhallen der Mods populär, wurden von der konventionellen Popszene allerdings kaum ernst genommen. Dann trat die Skinhead-Bewegung auf den Plan, deren Haarschnitt eine direkte Kopie des Haarschnitts der jamaikanischen Rude Boys war. Besonders populär war Max Romeos munter-obszönes «Wet Dream» (1969), das zwar von der BBC nicht gespielt, aber dennoch zum Hit wurde und zur Folge hatte, dass Romeo und ein paar andere frühe Reggae-Stars die Wembley Arena füllen konnten. Das Publikum bestand gemäss Romeo zu gleichen Teilen aus Jamaikanern und Skinheads. Die Uniform der letzteren wandelte sich erst später zum Emblem des britischen Rassismus. Den Skinheads passte es zum einen nicht, dass sich die jamaikanischen Reggae-Lyrics von derben Sprüchen verabschiedeten und immer militantere Sozialkritik verbreiteten. Andererseits sahen die Working-Class-Aussichten in den frühen siebziger Jahren nicht gut aus, und die Einwanderer mussten nun als Sündenböcke herhalten. Die zwei Reggae-Formen – die flotten Tanznummern, die den Skins gefielen und die militanten neuen Rasta-Hymnen – hatten indes nie wirklich das gleiche Publikum angezogen. Jamaikaner, die in England Musik machen wollten, standen denn zwischen Stuhl und Bank. Sollten sie der Lokalmode Rechnung tragen oder der Mode einer Heimat, mit der sie unterdessen nur noch Briefkontakt hatten?