Das allgemeine Unbehagen über die noch junge Musik wurde durch ihre provokative Gangart verstärkt. Während der Sexismus weisser Rockbands weitgehend unbestraft blieb, zogen die erotomanen Reime der schwarzen 2 Live Crew USA-weite Boykottaktionen nach sich. Später sorgte der kalifornische Gangster-Rap für einen weiteren Aufschrei, denn in einer Zeit explodierender Kriminalität wirkten die Platten der Genreführer N.W.A. wie soziales Nitroglyzerin.
Ob der Punk-Vordenker Jello Biafra (Dead Kennedys) richtig liegt, wenn er behauptet, der Grunge sei nur
darum gepusht worden, um Amerikas Jugend vom bösen Rap abzuschirmen, lässt sich schwerlich überprüfen. Tatsache ist aber, dass Grunge der Musikindustrie gerade recht kam. Weisse Jungs, die das traditionelle Teenager-Thema Entfremdung bedienten und mit Riffs aus dem Katalog des Heavy Metal unterlegten, damit konnten die Plattenmanager weitaus mehr anfangen als mit potenziell unbequemen Rappern.
Und da die Grunge-Bands sich ihre Sporen auf der Bühne abverdient hatten, konnten auch die Konzertveranstalter und Merchandising-Verkäufer an ihnen mitverdienen. Mehr noch: Grunge sprach ein generationenübergreifendes Publikum von Punks über Hippies bis hin zu Metal-Fans an, er hatte einen eingebauten Crossover-Effekt ohne Verlust an Strassennähe, das ist der Traum einer jeden Marketing-Abteilung.
Dass die Nörgler in Seattle glaubten, der Grunge hätte sich bereits überlebt, bevor es mit ihm überhaupt losging, spielte keine Rolle. Für kurze Zeit hatte die Rockmusik wieder eine klare Stossrichtung, eine erkennbare Rolle und eine rebellische Haltung. Und die Nachbeben der Grunge-Ära sind bis heute spürbar. Alice In Chains sind auf Reunions-Tournee, Pearl Jam gelten als die Grateful Dead der Generation X, und Nirvana sind noch immer das Vorbild jeder jungen Rockband. Auch wenn ihr Stern schon 1994 erlosch…