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das kulturelle überformat
Nr. 27 / 15. September 2009
#Wiedergesehen: Federico Fellini, «Satyricon» (1969)
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film
Wiedergesehen: Federico Fellini, «Satyricon» (1969)

Während das Romanfragment in krass überzeichnendem Realismus Bilder der damaligen römischen Provinz-Gesellschaft vermittelt, lässt Fellini seinen Film in einer Art Science Fiction-Szenerie spielen. Er habe nicht einen weiteren italienischen Schinken über die römische Vergangenheit drehen wollen, äusserte sich der Regisseur. Interessiert hat Fellini vor allem die gesellschaftliche und geistige Dekadenz sowie die chaotischen Zustände, wie sie im Roman geschildert werden, zu denen die westliche Gesellschaft der späten 1960er-Jahre Parallelen aufweist: Verfall religiöser Werte, Propagierung der freien Liebe und der Legalisierung der Abtreibung, Experimente mit Drogen, freie Lebensformen. All dies wird von Fellini positiv eingestuft und ist bei allen Parallelen nicht mit dem brutalen Chaos im Film gleichzusetzen, dessen Szenerie der Regisseur mit erzählerischer Freiheit als Traumlandschaft umschreibt. Enkolp und Askylt treiben sich wie Hippies durch die locker aneinandergereihten Episoden, sie richten ihr Vagantenleben stets nach den jeweiligen Umständen. Es wird sorglos im Hier und Jetzt geliebt, gefeiert, gemordet, geraubt – der Handlung von «Satyricon» fehlt, mit Ausnahmen, sowohl eigentliche Ernsthaftigkeit als auch Moral.

Fellini, der sich damals als «Optimist» bezeichnete, sah in «Satyricon» nicht zuletzt eine Anregung zu einem freieren Leben, einer allgemeinen «Bewusstseinserweiterung», wie sie in jenen Jahren für kurze Zeit in der Luft lag. Hereingebrochen ist bald danach die nicht zuletzt von Heroinopfern angekurbelte Jesus-Welle und als Folge davon ein