Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 13 / 4. April 2008
#J.G. Ballard
  12/13
literatur
J.G. Ballard

Ballard beschreibt das Leben in Lunghua nicht nur als Kindertraumidylle: die chronische Unterernährung hatte gesundheitliche Konsequenzen – und in der Zeit zwischen dem Kriegsende und der Rückreise nach England erlebte er bei seinen neuerlichen Streifzügen durch die kaputte Stadt etliche Horror-Situationen, darunter die Ermordung eines Gefangenen. Er war einem aus der Warte des heutigen, befriedeten Europa fast unvorstellbaren Hagel von oft entsetzlichen, oft rätselhaften Eindrücken ausgesetzt. Zwischen den Eltern, die sich tunlichst an die Konventionen des Lagers gehalten hatten, und dem, so Ballard, geradezu verwilderten Teenager, hatte sich eine Entfremdung eingestellt, die später nie mehr überbrückt wurde. 1946 reiste J.G. mit Mutter und Schwester nach Grossbritannien (der Vater bemühte sich in Shanghai um den Wiederaufbau der Firma). Nach all den Kriegserlebnissen war Ballard in keiner Weise vorbereitet auf den Schock, den ihn in seiner «Heimat» erwartete:

Wenn man sich unter den Engländern umblickte, war es unmöglich, zu glauben, dass sie den Krieg gewonnen hatten. Sie verhielten sich wie ein besiegtes Volk. (…) Sie redeten, als hätten sie den Krieg gewonnen und führten sich auf, als hätten sie ihn verloren. Sie waren erschöpft vom Krieg und erwarteten wenig von der Zukunft. (…) Die einzige Hoffnung kam von Hollywood-Filmen. Vor den immensen Odeon- und Gaumont-Kinos, welche die Bomben überlebt hatten, formierten sich lange Schlangen. Die Menschen, die im Regen auf ihre ein, zwei Stündchen amerikanischen Glamour warteten, waren gefügig und resigniert. Den Eindruck, den man in Shanghai von selbstbewussten Menschen