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das kulturelle überformat
Nr. 3 / 27. März 2007
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
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gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

Spittich und Sittigall

Das erste Mal, als ich so einem Sittich in freier Wildbahn begegnete, war ich mit ein paar Freunden, Bierdosen und feinen Häppchen in Kew Gardens * unterwegs. Gerade hatten wir nach schön englischer Manier das Tischtuch auf dem Rasen ausgebreitet und darauf Räucherlachs, Scotch Eggs, Scones, Quiches, Käse, Brot und Äpfel verteilt, da ging weit über unseren Köpfen im Wipfel einer gewaltigen Eiche oder sonst so eines exotischen Gewächses ein ohrenbetäubendes Krächzen los. Der Radau war mindestens so ärgerlich wie das Klappern eines fremden, mit Hip-Hop bestückten iPods in der U-Bahn. Rechtschaffen empört ob der Stimmungssabotage sprangen wir alle auf, zückten unsere imaginären Luftgewehre und nahmen den besagten Baum ins Visier. Tatsächlich – dort, ganz weit oben, sass er, der Störefried, und versuchte sich nicht einmal zu verstecken. Grasgrün war er, und auf seiner Nase sass ein feuerroter Papageienschnabel!

Auf der Stelle schlug unsere Stimmung um. «Armer Papagei!» sagte Leom. «Ganz allein, ohne Freunde, am Verhungern...» «Armer, armer Papagei!», sagte yours truly, «dem Ruf der freien, frischen Luft gefolgt und durchs achtlos offen gelassene Fenster in den trügerisch blauen Himmel entwichen – jetzt zum elendigen, einsamen Kältetod verdammt!» «Armer, armer, armer Papagei!» tönte es von Bill und Kate im Duett. «Ein Tier so bunt, dass es im grauen Britannien nicht einen Tag überleben wird. Leichte Beute wird es sein für den wutgeifernden Staffordshire Bullterrier namens Star, täglich drei Mal spazieren geführt von Drogenhändler Davy B. aus Harlesden, damit in seinem Territorium keiner die Furcht vergesse! Armer, armer, armer Pagapei – Opfer des barbarischen modernen Grossbritannien.»

Von tiefstem Mitleid erfasst gackerten wir sogleich in allen uns bekannten Vogelsprachen drauf los – hoffentlich würde der