Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 3 / 27. März 2007
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
  1/4
gedankengan
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

Bar jeder Vernunft oder wunderbar?

Man wird ja doch immer wieder überrascht. So schleppten mich neulich Freunde nach einem ebenso verwirrenden wie letztlich ergiebigen «Pan’s Labyrinth», in eine Kneipe namens «Joseph Roth». Gegenüber liegt das merkwürdige Prachtvariété «Wintergarten», dessen Existenzgrundlage mir immer verschlossen blieb. Da es allerdings Jahr für Jahr weiter gut beleuchtet herumsteht, gibt es wohl noch immer eine Berlin-Fraktion, die sich vom Stadt-Mythos der zwanziger Jahre nährt und daher gern in Cabarets oder Variétés und ähnlich verruchte Orte geht, wo irgendwelche Leute mit geschmiertem Haar und Schnurrbart oder in knappen Röckchen und Netzstrümpfen (oder natürlich allem auf einmal) anzügliche Couplets in schnarrendem Berliner Dialekt zum Besten geben. Oder ihre weissen Tiger spazieren führen.

Das «Joseph Roth» dagegen klang zwar etwas prätentiös, erwies sich dann aber als nett nostalgische Bierbar mit Hang zum schummrigen Pariser Arbeiterrestaurant. Kleine Tische mit karierten Decken, handgebrautes Bier, ordentlicher Wein und lesende Literatentypen an Fenster und Tresen. Ein Ort, an dem sich vermutlich auch der Namensgeber gern niedergelassen hätte, um seine abschließende «Legende vom heiligen Trinker» zu verfassen – zusammen mit Londons «König Alkohol», Wenedikt Jerofejews «Reise nach Petuschki» und Malcolm Lowrys «Unter dem Vulkan», eines der grossen Trinkerbücher der Geschichte. Während man allerdings gerade überlegte, welcher der Bedienungs-Theresen Roths Trinker sein – eigentlich für eine St. Theresen-Kirche gedachtes – Erlösungsgeld gespendet hätte, machte der Laden einfach dicht. Vor eins, in Berlin, mit einem solchen Namen. Parbleu!
Gelegenheit, über einige verbitterte Leserbriefe nachzudenken, die mir in der Woche zuvor anlässlich einer wenig nachsichtigen