Nachrichten aus der grossen Geisterstadt Wien (4)
Meine Markthalle sperrt übermorgen zu. Ein halbes Jahr lang ist sie jetzt vor sich hin gestorben, ehe sie dann übermorgen endlich tot sein darf. Das Ganze war schwer auszuhalten. Ursache des allmählichen Sterbens war ein ebenso allmähliches Todesurteil, von der ansonsten gar nicht so üblen Verwaltung meiner Lebensstadt gefällt. Unser Bürgermeister ist ein Urwiener, daher war sein Urteil auch von ganz und gar urwienerischer Machart: Totbeten, dann aber nicht (wie in anderen Kulturen) Weiterlebenlassen, sondern erst recht Abdrehen. Abdrehen, genauer «Oodraan», heisst hier das Umbringen.
Im besten Film der Welt, im «Dritten Mann» von Carol Reed, beschuldigt ein böser kleiner Bub den grossen Joseph Cotten völlig zu Unrecht mit den Worten: «Er hod eam oodraat.» Dabei macht der Bub die Geste des Halsabschneidens.
Meine Markthalle lag seit den siebziger Jahren angebaut an einen alten Bahnhof aus den Sechzigern (den ich auch liebe, aber das würde jetzt zu weit führen). Der Bahnhof wird neu gebaut, und die schäbig gewordene Markthalle dabei gleich mit abgerissen.
35 Jahre lang hat sie unter ihrem niedrigen, etwas grindigen Dach die Sub-Stämme meines Viertels zusammengeführt. Das ins Prekäre fallende Proletariat, die ins Prekäre gleitende Bourgeoisie, das von Haus aus prekäre Künstlervolk, die ebenso gelagerten Migrantengesellschaften, und die Diplomaten, um die wenigstens man sich keine Sorgen machen muss. Beim Hofer, wie in Wien der Aldi heisst, werden diese «Tribes» sich nicht mehr treffen, am nahe gelegenen, sündteuren Rochusmarkt auch nicht. Die Markthalle war ihre letzte Klammer.
Es ist schlüssig, dass die ersten Kirchen aufgelassene Markthallen waren, allen gehörig. Ebenso schlüssig ist, dass aufgelassene
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Text und Musik:
Ernst Molden