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das kulturelle überformat
Nr. 9 / 6. November 2007
#Kolumne von Ernst Molden, Wien
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gedankengang
Kolumne von Ernst Molden, Wien

Unlängst ging es mir so. Die Wienbibliothek, tief im Inneren des Rathauses, ein gar nicht so kleines Juwel der Buchsammlerei, das gleichermaßen Wien-Offizielles wie Wien-Literarisches sammelt und hortet, hatte mich zum Singen meiner Songs und zum Vortrag einer Story über, ja, die Toten von Wien eingeladen.

Als ich zur Vorbereitung des Auftritts kam, waren die Amtsstunden längst vorüber, eine schwarze Spätherbstnacht senkte sich über den von der Zeit geschwärzten Koloss. Stiege vier, erster Stock, sagte der uniformierte Wachmann, und ich zerrte meinen Verstärker durch Gruppen von Buchsbaumgestalten, quer durch die Höfe, bis die Stiege vier sich als die letzte in dieser Richtung erwies, und der erste Stock erst nach dem Hochparterre und dem Halbstock kam. Oben angekommen trug ich mein Gepäck mit endender Kraft noch hunderte Meter durch einen Bogengang, an dessen Ende ich schließlich ein mildes Lichtlein glimmen sah. Das Foyer der Bibliothek, voller warmherziger Rathausmitarbeiter, Bier und Wein für Künstler und Publikum umsonst, engagierte Techniker, reizende Bibliothekare. Menschen, wie man sie im Dickicht der Magistratsabteilungs-Bürokratie nicht erwartet, Menschen, von denen ich mir über den Zauber der unlängst öffentlich gemachten sogenannten Secreta-Sammlung von Erotika erzählen ließ und über den hier aufbewahrten Nachlaß des von mir verehrten H.C. Artmann.

Inmitten eines gar nicht so kleinen Publikums (das den mühseligen Weg also ebenfalls auf sich genommen haben mußte) wurde das ein lauschiger Abend. Ich spielte, sang, las und nahm mir im Rahmen einer Moderation heraus, den natürlich nicht anwesenden Bürgermeister Doktor Häupl hier, bei ihm zuhaus sozusagen, für die Schließung meiner Lieblingsmarkthalle zu kritisieren. Die Mitarbeiter der Wienbibliothek machten daraufhin ebenso gütige wie geheimnisvolle Gesichter, Kafkas Schloß stürzte natürlich nicht in sich zusammen, und das Konzert nahm ein gutes Ende.