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das kulturelle überformat
Nr. 9 / 6. November 2007
#Kolumne von Ernst Molden, Wien
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gedankengang
Kolumne von Ernst Molden, Wien

Nachrichten aus der großen Geisterstadt Wien (2)

Meine große Geisterstadt hat ein Allerinnerstes. Dies ist das Rathaus.
Dieses Rathaus, überragt von einem 105 Meter hohen Turm, hat 1’575 Zimmer, aus diesen wiederum kann man durch 2’035 Fenster in die angrenzenden Bezirke schauen, in den Achten, genannt die Josefstadt, und über den Rathauspark und das Burgtheater in den Ersten. Tausende Menschen arbeiten in diesem Rathaus, der Bürgermeister, seine Vertreter, das Stadtparlament, und viele der Dutzenden MAs, was man dem Nichtwiener als Magistratsabteilungen übersetzen muß, die für die Verwaltung der seit bald einem Jahrhundert Rot und nicht schlecht regierten Stadt zuständig sind.

Was in seiner Größe und Unübersichtlichkeit schon kafkaesk klingt, hat dazu noch das  kafkaeskeste aller kafkaesken Schlösser als Zuhause bekommen, einen riesigen neugotischen Palast, erbaut von Friedrich Ritter von Schmidt. Der Ort, an dem es errichtet wurde, hieß früher das Glacis, war dereinst der freie Platz vor den Stadtmauern, und wurde nach deren Schleifung noch immer als kaiserlicher Paradeplatz genutzt. Franz Josef I. wollte ihn ungern für die bürgerliche Verwaltung seiner Hauptstadt hergeben. Der enorme Bau wurde 1883 vollendet, als das Kaiserreich, dessen Kapitale von hier aus verwaltet werden sollte, gerade noch drei Jahrzehnte lang stand. Spitzbogige Säle, Gewölbe, kilometerlange Korridore und Arkadengänge, durchziehen den Moloch, aus sieben Höfen führen unzählige Stiegen in das Labyrinth hinein.

So also ist unser Allerinnerstes, um nicht zu sagen. Allerwertestes. Der gemeine Wiener geht dabei selten ins Rathaus. Wenn er es tut, braucht er etwas von der Verwaltung, oder er will sich empören, manchmal wird er vor-, ganz selten eingeladen.