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das kulturelle überformat
Nr. 9 / 6. November 2007
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
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gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

könnte deutlicher gewisse Unterschiede in der kulturellen Perspektive zwischen den USA und Europa aufzeigen als American Football. Ein Sport, wo mit neurotischer, ja, psychotischer Hingabe die absolute zerebrale Kontrolle eines Spieles angestrebt wird, dessen integrales physisches Gewalttätigkeitspotential dermassen gross ist, dass die Spieler sich verkleiden müssen wie ein mittelalterlicher Ritter.

Immer wieder werde ich von einem amerikanischen Exilanten in London in eine Diskussion über die grässliche Langeweile von Soccer verwickelt (das Wort Soccer ist dem weitverbreiteten Vorurteil zum Trotz keineswegs eine amerikanische Erfindung, es ist die Verballhornung von «Association Football» und stammt aus der Frühgeschichte, als der Sport auf Initiative der englischen Internate erstmals mit Regeln ausgestattet und organisiert wurde). Seine Argumente laufen immer wieder darauf hinaus, dass American Football ein grossartig komplexes und taktisches Spiel sei, bei dem intensives Mitdenken und ein Blick fürs subtile Detail unablässig seien – quasi ein verfleischlichtes Schach. Ausserdem verstehe er schlichtweg den Sinn eines Spieles nicht, bei dem das Resultat zum Schluss 0:0 lauten könne – ein Spiel ohne Sieger und Verlierer? Pah! Aber, so schlage ich zurück: wo bleibt denn beim American Football das ästhetische Pläsier? Die Freude beim Staunen ob der balletthaften Koordination eines Teams wie Arsenal London? Oder wenigstens das Vergnügen daran, beim Versuch eines Kellerteams, es auch so schön hinbringen zu wollen, schmunzeln zu dürfen? Wo bleibt das Amüsement ob den spontanen faulen Sprüchen, mit denen die Zuschauer das Geschehen auf dem Rasen quittieren – ganz im Gegensatz zum American Football, wo jedes Gebrüll im Publikum wie bei Pawlow durch ein Signal des Platzsprechers provoziert wird. Ausserdem gibt es ja auch im Soccer Taktik – wenn etwa ein Arsène Wenger vor die fast unüberwindliche Aufgabe gestellt wird, einen Gegner wie Birmingham, der elf Spieler in die Verteidigung stellt, auszuhebeln?