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das kulturelle überformat
Nr. 10 / 4. Dezember 2007
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
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gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

Nun muss man sagen, dass auffällig viele der weiblichen Freier nicht unbedingt aussahen, als hätten sie zu Hause die besten Chancen auf dem Partnerschaftsmarkt. Die Jungmänner dagegen sahen aus wie gewöhnliche kleinere Angestellte mit Fitnessstudio-Ausweis. So hatte man den Eindruck, dass die Freierinnen eher Anerkennung suchten, die Freier dagegen Macht. Dass sich beides erfüllen konnte, lag daran, dass Frauen und Männer im sicheren Gefühl auf die Insel gefahren waren, selbst noch mit dem geringsten Gehalt ein Vielfaches des Durchschnittsjamaikaners zu verdienen. Was die eingangs erwähnte These bestärkt, dass Wohlgefühl mehr noch als auf viel Geld auf mehr Geld beruht.

Auf dem Heimweg von der Disco begleitete mich Kenroy, der nette Gärtner meines Hotels. Der hatte mir übrigens, weil die Ökonomie in den touristisch entwickelten Gebieten eben so funktioniert, kurz zuvor eine Bekannte vorgestellt, die meine höfliche Frage nach ihrem Beruf mit einem stolzen «Ich kann irre gut blasen» beantwortete. Kenroy und ich gingen schweigend am Strand entlang. Etwas überraschend wollte er mir plötzlich das Offensichtliche erklären: «In der Disco suchen alle Frauen nach einem reichen Touristen.» Ich meinte: «Wahrscheinlich kann man ihnen nicht mal einen Vorwurf machen.» «Ja», sagte Kenroy, «aber traurig ist es schon.»

Traurig ist auch, dass ganz normale Leute, die zu Hause ganz unauffällig vor sich hinleben, sich von der normalen blöden Musik beschallen lassen, das normal blöde Fernsehprogramm ansehen und sich als normale Firmenknechte mit anderen Firmenknechten paaren, verheiraten und reproduzieren, dass diese grunddurchschnittlichen Menschen im Urlaub die Sau rauslassen, die ihnen ansonsten Moralhörigkeit, Chefs und Sozialordnung verbieten und quer über den Globus in jedem Sinne gefickte arme Menschen zurücklassen.