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das kulturelle überformat
Nr. 1 / 25. Januar 2007
#Kolumne von Rudolf Amstutz, New York
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gedankengang
Kolumne von Rudolf Amstutz, New York

The Sound Of The City

Man könnte sich einfach irgendwo hinstellen, die Hände erheben und dazu dirigieren. Zu dieser Kakophonie, dem Ohrensalat, der einen jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde unentwegt in dieser Stadt vorgeführt wird. New York wäre nicht New York, wenn diese Performance eines Schattendirigenten nicht schon einigen findigen Strassenkünstlern eingefallen wäre.

New York protzt in erster Linie mit Sehenswürdigkeiten. Mit Wolkenkratzern aus Stahl und Glas, sich gegen die Übermacht aus Höhe wehrenden Gotteshäusern, mit feuerleiterdekorierten Gemäuern aus rotem Backstein, glitzernden Werbefassaden und flimmernden Videowänden...

All dies lässt sich fotografieren. Festhalten und millionenfach gedruckt in aller Welt als schmucke Bildbände weiter verkaufen. Doch da ist etwas, das man nicht sehen kann und ebenso typisch ist für diese Stadt: ihre Musik. In den Geschichtsbüchern steht die akustische Errungenschaft dieser Metropole zwar ganz zuoberst. Der Jazz natürlich – Disco, House und Hip-Hop. Punk nicht zu vergessen. In den Lofts, in den Konzerthallen, den Kellern, den Hinterhöfen: Musik immer und überall. Doch die Entdeckungsreise beginnt schon auf der Strasse. Wer sich die Zeit nehmen könnte, die in New York niemand zu verschenken hat, dann würde er an einer Kreuzung stehenbleiben, verweilen und einfach die Augen schliessen. Und dann würde er sie hören: die Symphonie einer Stadt. Ein Orchesterwerk, das niemals endet.

Acht Millionen Menschen leben in New York City. An Werktagen schluckt sie das Doppelte und spuckt sie zu Feierabend wieder aus. Wären diese Menschen alle stumm, so müsste einzig ihr kollektiver Atem eine gewaltige akustische Welle auslösen. Doch die Menschen sprechen, schreien, telefonieren, rennen, lachen und weinen.