Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 1 / 25. Januar 2007
#Kolumne von Rudolf Amstutz, New York
  2/2
gedankengang
Kolumne von Rudolf Amstutz, New York

17000 gelbe Taxis malen Manhattan gelb und alle geben bei Grün ihr typisches Achtzylinder-Rocheln zum Besten. Die Sirenen der Polizei sind schrill und variantenreich. Jene der Feuerwehr dunkel und schwer. Sirenen mit Schluckauf und Sirenen mit Bronchitis. Und die Flucht in den Untergrund bringt neue Musik ans Tageslicht. Quietschende Räder der Subway, summende Generatoren, kaum verständliche Lautsprecherdurchsagen, die Schritte der gehetzten Pendler und Musiker an allen Ecken und Enden, die der Symphonie der Stadt für einen Moment eine Melodie entgegenhalten. New York ist die Stadt der tausend Kulturen: jüdische Klezmerklänge, Bluesriffs, asiatische Tonarchitektur und dampfende Latinorhythmen. Ghettoblaster, Rapper und Prediger. A-capella-Chöre, Kammerorchester und Rockgitarren. Die Diskussionen der Menschen in den vollen Zugwagen: auf russisch, chinesisch, spanisch, englisch, französisch. So muss die Welt beim Urknall gewesen sein. Bevor alle Menschen und jeder nur erdenkliche Klang sich auf dem Planeten seinen Platz ausgesucht hat.

Doch nur wo Stille ist, kann sich Lärm entfalten. Bloss eine Seitenstrasse vom Orchestergraben entfernt, lässt sich erleben, dass das Rascheln der Blätter im Wind und das Zwitschern der Vögel die Rolle eines erholsamen Zwischenspiels übernehmen. Und im Winter, wenn über Nacht ein pfeifender Blizzard den Schnee über der Stadt entlädt, dann herrscht plötzlich geheimnisvolle Stille. An solchen Tagen – und nur an solchen Tagen – hält dann auch eine Stadt wie New York den Atem an.