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das kulturelle überformat
Nr. 8 / 2. Oktober 2007
#Interview mit Annie Lennox
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musik
Interview mit Annie Lennox

allerdings an einem Punkt angelangt, wo wir wirklich aufwachen müssen, sonst steuern wir auf ein weltumspannendes katastrophales Ereignis zu. Ich habe mir die letzten paar Jahre über grosse Mühe gegeben, ein optimistischer Mensch zu sein. Ich habe schliesslich Kinder und will nicht, dass sie in einer Welt mit derart viel Elend, Ungerechtigkeit, Grausamkeit Verrücktheit und Verkommenheit aufwachsen. Aber wie kann die Idee, gegen den Terrorismus in den Krieg zu ziehen, eine Lösung sein, wenn das eindeutig nur zu mehr Blutvergiessen führt? Die Lügen und die Heuchelei der Politiker, die uns sagen, wir gehen in den Irak, um das irakische Volk zu befreien? Da gäbe es Massenzerstörungswaffen. Bullshit. Lügen. Sie wollten uns hinters Licht führen, aber ich hegte gleich grossen Verdacht gegenüber diesem Krieg. Mir kam diese Rhetorik sehr seltsam vor: «Wenn ihr nicht mit uns seid, seid ihr gegen uns.» Und dass wir die Terroristen «ausräuchern» müssten. Das klang nicht sehr erwachsen, sondern eher unreif. So etwas tun die kleinen Tyrannen auf dem Spielplatz. Und wir bringen unseren Kindern schliesslich auch nicht bei, diese Rüpel ins Gesicht zu schlagen. So kann man nichts lösen.

Tony Blair sagte damals: «Wir sind bereit, den Blutpreis zu bezahlen».

Ich fühle mich so enttäuscht, so desillusioniert, so tief abgestossen von ihm. Und jetzt soll der Mann angeblich dem Katholizismus beitreten.

Liegt das daran, dass er jetzt mit aller Selbstsicherheit einem Priester gegenüber treten und ihm seine Sünden beichten kann? Er ist so tief in seinen Selbstbetrug versunken. Was im Irak passiert, ist eine Travestie! Ich bin wirklich ziemlich zornig.

Der Zorn, von dem sie da sprechen, scheint in einem Song auf Ihrem neuen Album namens «Lost» zum Vorschein zu kommen.

Ja, absolut. Als ich hörte, dass Israel in den Libanon einmarschieren würde, fühlte sich das derartig düster an. Ich dachte mir: That’s it. Das ist der Moment, in dem der ganze Nahe Osten in Flammen aufgeht, und wir sind alle zum Untergang verdammt. Dieses Potenzial ist dort immer vorhanden. Seit Jahren schon. Wenn man zwei Seiten hat, die einander so unbeweglich gegenüber stehen, wird niemand gewinnen. Da gibt es nur Verlierer. Dieser Song «Lost» ist ein Ausdruck davon, wie ich manchmal an der ganzen Menschheit verzweifle. Jeden Tag, wenn ich aufwache und mein Laptop aufstarte und die Zeitung lese und unser Benehmen ansehe, hab ich dieses schreckliche Gefühl eines unaufhaltsamen Kreislaufs der Gewalt. Sind wir alle verdammt dazu, destruktiv zu sein? Wenn ich singe: «Das ist der Klang der Flugzeuge in der Nacht, die aus der Dunkelheit ins Licht kommen», dann ruft das diese Vision eines Bombardements wach. Da ist ein Flugzeug, und es hat ein bestimmtes Ziel. Der Pilot wird es auf seinem Computer markieren und auf eine sehr