Ikone, und doch spielte er immer nur den Blues, wie er ihn einst in St. Louis erlernt hatte. Wenn ich auf Tournee bin, fragen mich junge Musiker immer, was sie denn tun müssen, um wie Marcus Miller spielen zu können. Ich gebe ihnen gerne ein paar Tipps, aber ich sage ihnen auch, dass es ihnen mehr bringt, wenn sie einfach versuchen, ihre nähere Umgebung in ihre Musik einzubringen. Das Lokalkolorit ist es, was dich als Musiker speziell macht – nicht die Fähigkeit, etwas Fremdes zu imitieren. Wenn ich in Brasilien spiele, ist Bossa Nova das letzte, was ich den Leuten dort auftischen will. Es sei denn, ich kann etwas von meiner eigenen Persönlichkeit in diese Musik einfliessen lassen. Wenn man ein fremdes Publikum begeistern will, dann muss man etwas tun, das für die Leute neu oder fremd ist. Ich gehe auch nicht nach Los Angeles und spiele dort Smooth Jazz; ich markiere den funky New Yorker und blase die Leute damit weg. Weil die Konkurrenz in New York so hart ist, lernt man schnell wie man sich den Respekt anderer Musiker verschafft. Man findet ihre Achillesferse und glänzt dort, wo sie ein Defizit haben. Umgekehrt gilt: wenn man in New York Eindruck schinden will, muss man gar nicht erst versuchen, die New Yorker beim eigenen Spiel zu schlagen. Man muss ihnen stattdessen etwas Exotisches bieten, das sie nicht schon vor der eigenen Haustür kriegen können.
Das wird aber immer schwieriger, weil die Medien und Multis die immer gleiche Musik um die Welt schicken.
Corinne Bailey Rae ist ein gutes Beispiel, wie das noch funktionieren kann. In den USA lieben wir sie, weil sie so offensichtlich nicht aus Amerika kommt. Sie hat zwar diese grossartige Soul-Stimme, aber wir fahren auch auf Corinne ab, weil sie so typisch britisch ist und eine ganz besondere Art zu sprechen hat, die auf uns Amerikaner fast schon exotisch wirkt. Das gibt ihr das gewisse Etwas, das wir an ihr lieben. Übrigens singt sie das Titelstück auf meinem neuen Album. Ich dachte gar nicht, dass sie diesen alten Song kennen würde, aber Corinne ist eine Expertin, wenn es um Soul-Musik geht. Sie wusste gleich, welchen Song ich meinte, als ich bei ihr anfragte – obwohl sie gar noch nicht auf der Welt war als «Free» ein Hit für Denise Williams war.
Marcus Miller © Dreyfus Jazz