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Von Bädern, Buben und der Doppelmoral der Mittelklasse
Meine zehnjährige Tochter hat irgendwelchen schrägen genetischen Irrungen und Wirrungen wegen ein gewisses Talent zum Schwimmen aus dem Gen-Pool gepflückt und nimmt deshalb auch an Rennveranstaltungen teil. «Gala» nennen sich solche Ereignisse kurioserweise. Ich hatte bis anhin immer geglaubt, Galas seien Events für Anzug, Fliege und Ballroben, nicht Badanzüge. Auf jeden Fall ist Lily im Jugend-Team des Londoner Bezirkes Brent, einer sozial sehr durchmischten Gegend. Nur schon mein Quartier, Kilburn, reicht von Crack-Estate am südlichen Ende zu den protzigen Eingangspforten indischer Import/Export-Millionäre und der Villa von Peter O’Toole zwei Kilometer weiter nördlich.
Letzthin fand denn wieder so eine Gala statt, und zwar in Stoke Newington am Rande von Ostlondon. Die Badeanstalt war ein architektonisches Ereignis. Vor ein paar Jahren für teures Geld erbaut, wurde sie nach der Eröffnung struktureller Mängel wegen gleich wieder geschlossen. Ein paar weitere Jahre stand das Gebäude verlassen da, ein perfektes Objekt für die Lokalpresse, um darüber einige zusätzliche Tiraden über die «schlimme» moderne Architektur abzufeuern. Aber schliesslich ging das Bad doch noch auf – und es ist nicht nur eine echte Augenweide mit seinen grosszügigen Dimensionen und weit geschwungenen Bögen, es erfreut sich sogar eines Cafés mit reinrassiger Espressomaschine. Da hat man bei Galas schon ganz anderes erlebt, nämlich Crisp’n’Cola in Reinkultur.