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das kulturelle überformat
Nr. 16 / 3. Juli 2008
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
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gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

Andererseits war Woodstock 1994 ein echter Eye-Opener. Die Art und Weise, wie die galoppierende Kommerzialisierung vom Publikum wie selbstverständlich hingenommen wurde, war für einen alten Alternativromantiker wie den Schreiber dieser Zeilen erschreckend. Etwa musste man zum Voraus Woodstock-Geld kaufen, nur so konnte man die zum Verkauf angebotenen Souvenirs und Lebensmittel erstehen (Produkte, die natürlich alle bekannte amerikanische Markennamen trugen). Klar, dass man den mitgebrachten Proviant am Einfang in den Abfall werfen musste. Typisch war die lange Schlange vor dem Apple-MacIntosh- Demonstrationszelt. Die Schlange wartete nicht etwa darauf, witzige Experimentalfilme zu sehen, sondern darauf, sich eine temporäre Gratis-Tätowierung vom Apple-Logo auf einen Körperteil nach Wunsch drücken zu lassen. Es war für mich der grimmige Moment, wo ich erkannte, dass es in der neuesten Auflage der Jungkultur möglich geworden war, seine «alternative» Lebenseinstellung statt mit den Namen innovativer Musikanten mit dem Logo einer Big Corporation zu signalisieren. Man will ja nicht im (Woodstock-)Sumpf der Nostalgie absaufen – aber nur schon aus politischen Gründen scheint es mir doch auch heute noch gesünder, den Megakonzernen dieser Welt und ihren Absichten mit grösster Skepsis statt blinder Liebe entgegenzutreten. Von wegen Musik und Woodstock: das einzige, was mir von den Bands in Erinnerung geblieben ist, ist der gloriose Auftritt der englischen Band James, die mit «Laid» gerade ihr schönstes Album veröffentlicht hatten. Und die brachiale Grässlichkeit von Dolores O’Riordan und ihren Cranberries.

Zurück zu Glastonbury. Natürlich ging es auch bei mir nicht ganz ohne. Denn Glastonbury ist längst zum grössten Medien-Zirkus im britischen Musikjahr avanciert. Vom Freitagabend bis tief in die Morgenstunden des Montag hinein berichtete die BBC pausenlos das Neueste aus der sanften Hügellandschaft der Grafschaft Somerset. Wer die BBC digital empfängt, kann auf fünf Kanälen mitverfolgen, was auf den diversen Bühnen passiert, dazwischen