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das kulturelle überformat
Nr. 32 / 10. August 2010
#Kolumne von Hanspeter Künzler, London
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gedankengang
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

heute langsam aber sicher in den Bereich des Altmodischen, des Musealen abdriften könnte. Das mit der unprovinziellen Selbstsicherheit, die damals so vorbildhaft wirkte: schwebt da nicht auch noch ein Hauch Macho-Gehabe mit? Eine etwas altertümliche Erwartung, dass ein gebildeter Mensch wie er erst recht recht habe? Eine schreiberische Art, die mich an die Umgangsformen der englischen Ex-Internatschüler erinnert, die dort immerhin ein allumfassendes Selbstwertgefühl erlernen, auch wenn sie sonst nichts können oder wissen. Nein, nein, ich bin da wohl zu bös mit Frisch. Er ist ja auch Schriftsteller. Wir wollen seine Meinung hören, die soll er ruhig mit Kraft vortragen und sich nicht alle paar Sätze hinterfragen müssen. Dennoch – irgendwie hat mich der Stil vom spurenhaften dritten Tagebuch befremdet. Dieses krampfhafte, in jeder Situation Tiefgang orten zu müssen. Diese gnadenlose Ehrlichkeit – wie ehrlich ist sie eigentlich? Fast dreissig Jahre später kann ich mich der Frage nicht erwehren, ob Ehrlichkeit nicht in Eitelkeit umschlägt, wenn sie im Wissen ins Feld geführt wird, dass man dafür nur Lob erntet?

In meinem Schlafzimmer in London steht ein Büchergestell. Die Leute, die es mir vor Jahren geschenkt haben, erzählten mir damals, es hätte ihrem Nachbar gehört, einem Guinness-süchtigen Schriftsteller namens William Sansom. Zu seinen Ehren habe ich mich seither bemüht, so viele Bücher von ihm wie möglich zu finden. Es ist eine stattliche Anzahl zusammengekommen. Vieles davon Penguin-Editionen aus den 1950er und 1960er Jahren, zu Spottpreisen aus den Ramschkisten der Antiquariate gefischt. Sansom, so stellte es sich heraus, ist einmal viel gelesen und geschätzt worden. Aber bis jetzt habe ich es noch nicht geschafft, bei auch nur einem seiner knochentrockenen Bücher über Seite Zwanzig hinauszukommen. Irgend einmal in den 1960er Jahren gab es in der englischen Literatur einen Umbruch, danach war der alte post-imperiale, zackige BBC-Schreibstil nicht mehr dazu geeignet,