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das kulturelle überformat
Nr. 25 / 22. Juni 2009
#Kolumne von Rudolf Amstutz, New York
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gedankengang
Kolumne von Rudolf Amstutz, New York

Ja, man kann nicht lauern. Weder hier noch dort. In NYC ist die Zeit ein wertvolleres Gut als anderswo. Wer gut hinguckt, kann sogar erkennen, wie sie einem vor der Nase weggefressen wird. Zeit sei relativ, heisst es so schön. Und hier wird man regelrecht in den Beweis dieser Behauptung hineingesogen. Natürlich kann man sich auch in NYC zurücklehnen. In den eigenen vier Wänden oder in den tausend Parks. Überall dort, wo einem die Stadt mit ihren Millionen von Statisten nicht vor der Nase rumtanzt, als ob sie sagen möchte: «Noch eine Minute länger hier innehalten und der Zug fährt ohne Dich ab.»

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Deshalb wird gelesen in der Subway. Ein Angestellter, der werktags morgens und abends in diesen Waggons verbringt, kann es locker in einer Woche mit einem Stephen King aufnehmen. «Krieg und Frieden»? Oder gar «Der Mann ohne Eigenschaften»? Eine Monatsration. Allerhöchstens. Aber die wirkliche Kunst ist nicht, eine derartige Menge an Literatur zu verarbeiten. Da wo die Virtuosität wirklich beginnt, da schüttelt der Tourist nur noch den Kopf und literarische Neueinsteiger in die Subway-Welt schwenken die weisse Fahne beim Anblick der wirklichen Profis. Denn: Sitzplätze sind nicht garantiert und während der Rush Hour kann es bedenklich eng werden in den Zügen. Hindert dies die Frau dort im hinteren Teil des Waggons, auf hohen Absätzen balancierend und die beiden prallvollen Einkaufstaschen zwischen den Beinen blockierend, daran ihren Wälzer einhändig aus der Damentasche gleiten zu lassen? Mitnichten. Ich hab es auch versucht. Hab dafür speziell Thomas Pynchons «Against The Day» eingepackt. Tausend Seiten. Gebunden. Man will ja nicht schwächeln und mit einem handlichen Paperback beginnen. Einhändig also, vier Finger unter dem Buch, der Daumen hat die Rolle des Blockierens und des einfingrigen Weiterblätterns inne. Die andere Hand steht nicht zur Diskussion. Mit der hält man sich fest. Man will ja nicht der Dame