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das kulturelle überformat
Nr. 6 / 29. Juni 2007
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
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gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

kaum überraschend von allem ausser der unmittelbarsten Bluestradition befreit.

Diese Sorte historischer Säuberung passt andererseits nach Midtown Manhattan. Vor 25 Jahren war ich das erste Mal am Times Square, wo zwar an die legendären Jazzzeiten nicht mehr viel erinnerte, aber sich immerhin noch eine prachtvolle, verdreckte und versaute Gesellschaft aus allen möglichen Schlampern und Hustlern tummelte. Mittlerweile gibt es wohl kaum eine sicherere, sauberere Gegend als Manhattan in den Mittvierziger Strassen um den Times Square. Zu jeder Tages- und Nachtzeit können hier die unbedarftesten Familien-Touristen spazieren, wobei man nicht genau weiß, was sie da suchen. Gewiss, man kann ordentlich essen und auch sonst eine ganze Menge konsumieren. Aber mit einer lebendigen Stadt hat das nicht mehr viel zu tun. Was übrigens schön nachzulesen ist in einem Essayband, den der schwule, afroamerikanische Science-Fiction-Autor Samuel R. Delaney – in den Sechzigern bekannt geworden durch seinen sprach-dekonstruktionistischen Roman «Babel-17» – 1999 veröffentlichte. Der sieht in der Vertreibung der Rotlicht-Klientel einen Sicherheitsfetischismus am Werk, der unter dem Deckmantel von «family values» die Angst vor klassenüberschreitender Kommunikation verbirgt. Seine Prognose, das werde sich bald über die ganze USA ausbreiten, ist mittlerweile keineswegs mehr nur pessimistisch: überall erobern die besitzenden Klassen die Innenstädte zurück und drängen Arme ebenso wie ethnische und Lifestyleaussenseiter mitsamt den einschlägigen sozialen Problemen an die Ränder.

Der Times Square ist nur ein besonders schillerndes Beispiel für die Gründlichkeit, mit der das in New York geschehen ist. Gegen das einstige Problemgebiet Alphabet City im unteren Osten Manhattans etwa wirkt sogar die Medienschickeria von Berlin Mitte irgendwie räudig. Sogar die Sozialwohnungen sind privatisiert und