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das kulturelle überformat
Nr. 14 / 8. Mai 2008
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
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gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

Knüppeln bearbeitete. Ich rief irgendetwas Deeskalierndes hinunter. Woraufhin einer der Kerle tatsächlich eins der gerade neu eingeführten Gummigeschosse in meine Richtung feuerte, dass der Putz splitterte. Damals, in den letzten Tagen des grossangelegten Hausbesetzens, gab es dabei ja immerhin noch ein konkret fassbares Anliegen, das auch mit dem ärmlichen Stadtteil zu tun hatte. Nicht umsonst konnte man sogar alte Mütterlein beobachten, wie sie sich am Kaffee aus der frisch aufgehauenen Supermarktfensterscheibe bedienten.

Bald allerdings ging es dabei nur noch um hohle Rituale mit starker Touristenbeteiligung. Über irgendeinen Missstand ist man schliesslich immer empört und so packten die zunehmend genervten Kreuzberger Jahr für Jahr ihre Wagen fort, während die Deppen auf der Strasse tobten und durchaus auch mal grosse Rinnsteine aus Granit vom Dach fallen liessen. Auf dem dekadenten Höhepunkt der Polit-Paranoia warfen selbsternannte Kiezpolizisten Eimer voll Fäkalien in vermeintliche Yuppierestaurants, erpressten schwäbische Einzelhändler zur Abgabe von Knastgroschen und befehdeten Besetzer, die Nutzverträge mit der Stadt schlossen. Einmal musste das schöne und ambitionierte Kino Babylon für ein Weilchen geschlossen werden, weil sie Filme des surrealen Busenfetischisten Russ Meyer zeigten, wofür ihnen ein Feministenkommando Buttersäure in den Saal warf. Eigenartig, wie selbstverständlich und abgebrüht und höchstens leicht genervt man das alles hingenommen hat.

Klar komme ich mir jetzt vor, wie Opa, der vom Krieg erzählt. Aber ich muss ja unweigerlich jedes Jahr daran denken, wenn ich wie auch diesmal die ganzen Zottels vor der Türe sehe, wie sie ihre Döner essen und Bierflaschen stehen lassen und ansonsten so ganz lieb und harmlos und schäfchenhaft von hier nach dort und vermutlich zurück zockeln. Sie lesen alle Charlotte Roches «Feuchtgebiete», gegen die Russ Meyer Streifen wie die Paukerfilme der Sechziger wirken. Dazu hören sie ihre schöne folkige Musik mit dem steten