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das kulturelle überformat
Nr. 14 / 8. Mai 2008
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
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gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

Mitte der Achtziger, als die Misstimmungen zwischen Ordnungsmacht, Hausbesetzern, Punks und Politrabauken auf dem Höhepunkt waren, hatte ich Besuch von einem jungen Kollegen, intellektueller Shootingstar der Spex, der später leider in einen Lehrberuf abgetaucht ist. Wir wollten uns gerade auf den Heimweg aus dem Lieblingsbrauereicafé begeben, als die schlechte Laune auf der Strasse in die Luft ging. Ich wohnte in der Oranienstrasse und wir mussten nur ein paar Meter gehen von der Milchbar, einer halblegalen Bar in einem besetzten Haus, in dem ich damals als Tresenkraft mein Studiengeld ein wenig aufbesserte. Wir kamen jedoch nicht besonders weit. Blutige junge Menschen, die zu uns in die Bar geflüchtet waren, hatten es schon angedeutet. Auf der Strasse tobte Krieg. Pflastersteine, die praktischerweise für die Renovierungsarbeiten der Internationalen Bauausstellung herumlagen, flogen. Bauwagen lagen umgekippt und lichterloh brennend herum, die vierspurige Skalitzer Strasse war wie die Oranienstrasse verbarrikadiert und die Sirenen heulten hysterisch. Hundertschaften vermummter Polizisten mit Helmen und Knüppeln rückten hinter den Wasserwerfern her oder hetzten springende Leute in Lederjacken durch die Höfe. Scheiben splitterten, Menschen kreischten, Autos wurden wahllos gekippt und zertrümmert, kleine Läden wurden ebenso wie Supermärkte geplündert, einer auch abgebrannt.

Über weitläufige experimentelle Schleichwege gelangten wir schliesslich in meine kleine Wohnung mit Aussenklo. Wo mich dann erst Überraschung und dann schlechtes Gewissen überkamen. Ich hatte mir gar nichts weiter gedacht, weil ich die wesentlichen Rituale aus den Jahren davor bereits kannte. Mein Bekannter dagegen – politisch wach, akademisch gebildet und auch in subkulturellen Revoltentheorien bewandert – stand bleich, sprachlos und zitternd in der Wohnung. Und hatte eigentlich auch gar nicht Unrecht. Im Jahr davor zum Beispiel hatte ich beobachtet, wie ein Polizistenrudel einen Demonstranten in meinen Hinterhof getrieben hatte und in einer Ecke gnadenlos und brutal mit ihren