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das kulturelle überformat
Nr. 12 / 6. März 2008
#Interview mit Nick Cave
  9/10
musik
Interview mit Nick Cave

Eine Art Hall of Infamy?

Genau. Das ist eine gute Idee. Das könnte ich jedes Jahr machen, eine Hall of Fame für die, die wir lieber vergessen wollen. Wir könnten dann gegeneinander Fussball spielen.

Wie ist heutzutage überhaupt Ihr Verhältnis zu Australien? Politisch scheint sich da seit den Wahlen einiges verändert zu haben. Verfolgen Sie das?

Schon, aber wahrscheinlich nur auf die gleiche Weise wie Sie. Alle sind froh, den vorigen Typen losgeworden zu sein. Ich weiss nicht, ob sich irgendjemand von dem neuen Typen wirklich sehr inspiriert fühlt. Ich habe gehört, dass die Leute ihn als leeres Glas bezeichnen. Und dass nun alle Hoffnungen Australiens in dieses Glas gefüllt werden.

Klingt nach Tony Blair oder Bill Clinton.

Ja. Nur dass er nicht den Charme dieser Typen hat. Er hat überhaupt keinen Charme.

Das könnte ihn weniger gefährlich machen.

Ja, möglicherweise.

Ich hätte noch eine Frage zum Song «Today’s Lesson». Da ist dieses junge Mädchen und dieser schmierige Mr. Sandman. Zum Teil scheint es so, als würde sie ihn ermutigen, aber er ist schon eher bösartig, oder?

Er ist sogar ziemlich bösartig. Ich finde, das ist einer der düstersten, bösesten  Songs, die ich je geschrieben habe, auch wenn er einen ziemlich beschwingten Beat hat.

Sie sagt aber zu ihm: wir werden eine wirklich gute Zeit zusammen haben.

Nun, sie ist gewissermassen komatös. Ich mag das nicht gern in seine Bestandteile zerlegen, aber das hatte wieder mit diesem Marilyn Monroe-Interview zu tun. Sie sagte darin: Ich laufe immer in das Unterbewusste anderer Leute. Für mich fühlte sich das in diesem Kontext so an wie dieser Keith Rudd, oder wie er auch immer heisst (Richtig: Kevin Rudd, Australiens neuer Premier, Anm. des Verf.), sie war ein Gefäss, in das die Welt damals ihr transferiertes männliches erotisches Begehren ergoss. Und das ist eine sehr gefährliche Sache. Menschen können nur ein gewisses Mass negativer Aufmerksamkeit ertragen. Ich dachte dabei auch an viele der Leute heutzutage, die dem mörderischen Blick des Boulevards ausgesetzt sind. Was passiert mit diesen Menschen, die all diese transferierten Gedanken absorbieren müssen, ob es nun Kate Moss oder Lady Di oder die verdammte Amy Winehouse ist. Man kann ihnen zusehen, wie sie vor unseren Augen sterben, wie sie vergehen und dünner werden. Der Boulevard führt das auf die Drogen zurück, aber der Grund sind natürlich nicht die Drogen. Es ist der verdammte Boulevard.