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das kulturelle überformat
Nr. 3 / 27. März 2007
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
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gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

Sozialpalastes am Kottbusser Tor, dem vermutlich regsten Drogenmarkt und Obdachlosentreff der Stadt. Dort steht auch mein bevorzugtes Neighborhoodwohnzimmer, das, muss ich gestehen, «Würgeengel» heisst und mit diesem Buñuel-Verweis eigentlich schon an der Toleranzgrenze liegt. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, die dunkelrot gehaltene Bar mit ihren antiken Mattglasintarsien an der Decke für mich angemessen zu finden. Grundsätzlich zwischen zehn und zwölf überfüllt, plötzlich leer ab eins, ging ich von recht frühem Feierabend aus. Die absolut geschmackvolle Musik zwischen Etta James, Bobby Bland oder Tony Joe White klang zwar einladend, aber es schien unwahrscheinlich, nach getaner Konzertkritik um vier noch zum Absacker zu kommen. Bis ich eines Morgens gegen halb acht den Ort verliess. Bis dahin waren spärlich aber permanent noch Leute eingetrudelt, die freundlich aufgenommen wurden, und bis das letzte Geld gezählt war, wurde musikalisch sauber nachgelegt. Ins Variété werde ich in absehbarer Zeit trotzdem nicht gehen. Zwischen Vorurteil und Erwartung zu unterscheiden, ist aber vielleicht doch wichtiger, als man denkt.
Obwohl am Ende Überraschungen meist so rhetorisch sind, wie die schönste Frage des Monats vom neuen Album der Britrocker Maximo Park: Sind wir zu weit gegangen, oder warum blutet deine Nase?

Markus Schneider