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das kulturelle überformat
Nr. 30 / 18. Februar 2010
#Interview mit T.C. Boyle
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literatur
Interview mit T.C. Boyle

Sie haben oft davon gesprochen, wie wichtig es Ihnen ist, beim Schreiben Musik zu hören, und wie sich dies im Sprachrhythmus niederschlage. Haben Sie über die Jahre hinweg Veränderungen in Ihrem Sprachrhythmus bemerkt, die mit Veränderungen in Ihren Hörgewohnheiten zusammenhängen könnten?

Nein, denn meine Hörgewohnheiten haben sich nicht verändert. Ich habe schon immer zu Jazz und zu klassischer Musik gearbeitet, nicht zu Rock’n’Roll. Rockmusik lenkt mich zu stark ab – die Texte vor allem. Mit Gesang klappt es nur, wenn es sich um eine Oper handelt, in der französisch, italienisch oder deutsch gesungen wird und ich sie nicht verstehen kann.

Haben Sie die Rockmusik etwa ganz aufgegeben?


Keineswegs – nur nicht bei der Arbeit. Wenn ich arbeite, höre ich vor allem meine alten Standards, John Coltrane, Miles Davis und Bach, den ich für den grössten Musiker aller Zeiten halte. Dazu Oper und Kammermusik. Ich brauche Musik im Hintergrund, in irgend einer Form einen Rhythmus, um mich daran zu erinnern, dass es bei meiner Arbeit auch um eine Art Musik geht. Schreiben muss auf der linguistischen Ebene schön sein, und der Text muss sich auf rhythmische Weise vorwärtsbewegen, sonst funktioniert er nicht. Ich habe über die Jahre hinweg immer wieder

frustrierende Situationen erlebt mit Redakteuren von irgendwelchen Zeitschriften, die klagten, der vorgesehene Platz sei sehr knapp und ob man hier nicht eine Passage kürzen und dort ein paar Worte weglassen könnte. Nein! Denn ohne diese Worte würden die Sätze falsch klingen oder flach wirken. Ohne sie würden sie nicht mehr singen. Wenn die Sprache singen soll, muss sie rhythmisch sein. Darum lese ich meine Arbeiten immer laut, und zwar nicht nur bei öffentlichen Lesungen. Jeden Tag lese ich meiner Frau vor, was ich neu geschrieben habe, denn ich muss wissen, wie die Sprache klingt, wenn die Sätze laut ausgesprochen werden. Alle guten Schriftsteller haben gemeinsam, dass ihre Sprache singt. Schlechtere Schriftsteller, solche vielleicht, die sich mit Genrestücken befassen, schreiben eine flache, journalistische Prosa, die mich weder zu fesseln noch sonst irgendwie zu interessieren vermag.

Sie betätigten sich an der University of Southern California als Uni-Dozent im Fach «creative writing». Kann man ein solches Feingefühl für Rhythmik und Ton lehren?

Ich glaube nicht, dass man in Sachen kreative Kunst überhaupt etwas lehren kann. Der Student hat die Fähigkeiten, oder er hat sie nicht. Meine Arbeit besteht darin, sie zu beraten und anzuspornen, dass sie ihre Fähigkeiten aufs Vollste auszuschöpfen lernen.