Schriftsteller, die sich politisch äussern? In Frankreich und Deutschland nichts Ungewöhnliches. So kritisierte die Autorin Marie NDiaye letzten Herbst – sie hatte soeben den Prix Goncourt, den renommiertesten französischen Literaturpreis erhalten – die «monströse» Einwanderungspolitik von Präsident Nicolas Sarkozy. NDiaye, deren Vater aus dem Senegal stammt, löste damit eine heftige Debatte aus. Oder Günter Grass: Als der deutsche Schriftsteller vor einigen Jahren bekannte, im Zweiten Weltkrieg bei der Waffen-SS gedient zu haben, stritten sich Literaten und Politiker monatelang über seine Beichte.
Anders in der Schweiz. Hierzulande melden sich Schriftsteller kaum je zu Wort, wenn es um politische Fragen geht. Lukas Bärfuss, der politischste Schweizer Autor, suchte 2007 in einem Essay im Tages-Anzeiger eine Antwort darauf, warum dem so sei: «Der Schriftsteller ist uneinig mit der Klasse, zu der er gehört und die ihn hervorgebracht hat.» Die gesellschaftlichen Blöcke – Links, Rechts – haben sich nach dem Fall der Mauer aufgelöst, analysiert Bärfuss. Das unpolitische l’art pour l’art sei für die Schriftsteller zur einzigen Möglichkeit geworden, mit der Gesellschaft, die in ihrer Ideologie gefestigt sei, überhaupt noch zu kommunizieren. Bärfuss’ Fazit: «Diese Situation wird sich erst ändern, wenn wir diese Gesellschaft wieder nach ihrer Zukunft befragen.»
Ein «schweizerisches Projekt» ist auch heute nicht in Sicht. Dennoch sind die Schriftsteller aus ihrer Politlethargie erwacht. Was ist geschehen? Die