Melissa Etheridge, auf Ihrem neuen Album «The Awakening» geben Sie sich so politisch wie nie zuvor. Bislang ging es in Ihren Songs eher um Persönliches.
Meine Erfahrungen mit Brustkrebs und Chemotherapie haben mich wachgerüttelt. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nicht einfach meinen eigenen amerikanischen Traum leben und mich von der Aussenwelt abschotten kann. Mit meinen neuen Songs versuche ich jetzt, den Leuten klarzumachen, dass Politik und Ökologie einen direkten Einfluss auf ihr Privatleben haben. Aber ich will ihnen nichts vorpredigen, darum schreibe ich immer aus einer persönlichen Perspektive heraus, um sie emotional abzuholen.
Ist das mit ein Grund, warum Sie in ihrem Song «What Happens Tomorrow» auf Hillary Clintons Kandidatur um die US-amerikanische Präsidentschaft anspielen, ohne Frau Clinton beim Namen zu nennen? Wollen Sie diese Emotionalität nicht stören?
Um ganz ehrlich zu sein, bei den Vorwahlen um die demokratische Kandidatur bin ich eher für Dennis Kucinich, weil er Themen anpackt, an denen die anderen Kandidaten sich die Finger nicht verbrennen wollen. In «What Happens Tomorrow» geht es eigentlich um das Feminine in der Politik. Denn die Macht ist immer noch in den Händen der maskulinen Kräfte, obwohl es für die Welt besser wäre,
wenn es einen Ausgleich zwischen maskulinen und femininen Kräften gäbe. Wobei Frauen nicht immer die Rettung bringen. Schauen Sie sich doch Margaret Thatcher an, die in meinen Augen eine ausgesprochen maskuline Persönlichkeit war. Umgekehrt gibt es auch Männer, die feminine Qualitäten und Ansichten in öffentliche Debatten einbringen.
Sind die USA reif für eine Frau im Weissen Haus? Man hört, dass Hillary Clinton in den Medien als «Bitch» verschrien wird, weil sie sehr maskuline Fähigkeiten mitbringt.
Die Medien greifen gerne mal zu Schimpfwörtern wie «Bitch» oder Lesbe, wenn sie sich mit einer starken Frau konfrontiert sehen. Vielleicht ist es sogar ein Kompliment an Meinesgleichen, wenn uns Lesben Härte zugesprochen wird, aber vielleicht bilde ich mir da nur etwas ein. Es hat etwas Tragisches, wenn eine Frau – ich will damit nicht sagen, dass Hillary diese Frau ist – alle Anforderungen erfüllt, die grosse Politiker ausmachen, und dann dafür Schelte erntet, nur weil sie eben eine Frau und kein Mann ist.
Apropos Schimpfwörter: 1992 konnte George Bush Sr., damals noch der amtierende US-Präsident, Al Gore als Ozon-Trottel verunglimpfen. Wieviel hat sich in der öffentlichen Meinung zum Thema Klimaschutz in den USA verändert?
Wir sind zwar spät dran, aber dafür merkt jetzt