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das kulturelle überformat
Nr. 4 / 26. April 2007
#Interview mit Tori Amos
  7/8
musik
Interview mit Tori Amos

müssen. Als Komponistin und Bandmitglied ist sie so etwas wie Demeter, die Übermutter, die die anderen Frauen erst zu Wort kommen lässt. Aber ganz konnte ich sie auch nicht aus dieser musikalischen Gleichung heraus halten: ich wollte ja auch nicht, dass sie auf die anderen neidisch wird.

«Digital Ghost» ist einer der Songs, die von der Figur der Tori gesungen wird, und ich muss zugeben, dass ich glaube, ihn nicht zu verstehen. Würden Sie bitte etwas darüber sagen?


Sie müssen den Song schon über längere Zeit auf sich wirken lassen, um ihn zu verstehen. Aber eigentlich ist «Digital Ghost» ein wunderschöner Lovesong an einen Mann, der sich in die virtuelle Welt seines Computers zurückgezogen hat, und die Frau, die ihn liebt muss ihn dort suchen gehen, um den Kontakt zu ihm wiederherzustellen. Wie das alles passiert ist, wissen wir nicht, aber das ist auch unwichtig, denn in diesem Song geht es mehr um Kommunikationsstörungen als um deren Ursachen. Wie die Frau in U2’s Song «Running To Stand Still», die dem Erzähler wie Wasser durch die Finger rinnt, verflüchtigt sich der Mann in «Digital Ghost» in binäre Zahlenfolgen. Da muss die Frau einen analytischen Weg einschlagen, ihn erreichen zu können.

Ihre Figuren haben ja auch eigene Blogs. Ist es ein Segen für Sie, dieses Konzept im Netz weiterentwickeln zu können, oder ein Fluch, weil Sie sich damit noch mehr Arbeit eingebrockt haben?

Meine Antwort auf diese Frage variiert, je nach meiner aktuellen Tagesform. Dass sich diese Figuren weiterentwickeln müssen, war klar, sie haben ja geradezu danach geschrien. Und es lässt sich auch gar nicht vermeiden, dass sie sich verändern, wenn ich sie mit auf Tournee nehme, da muss ein bisschen Improvisation mit im Spiel sein, um das Ganze am Leben zu halten. Darum schöpfe ich alle mir verfügbaren Mittel aus, schliesslich hat dieses Projekt ja auch einen Anstrich von Performance Art, da muss alles im Fluss bleiben. Aber es ist nicht so, als würde ich an einem Tag die eine Figur spielen und am nächsten Tag eine andere – was manche Journalisten tatsächlich erwarten, wenn sie mich interviewen. Ich kann diese Persönlichkeiten nicht einfach an- und ausknipsen, auch wenn sie alle ein Teil von mir sind. Wenn man mit mir spricht, begegnet man der Macherin, die das Ganze am Laufen hält. Es geht ja nicht, dass ein Künstler seine innersten Emotionen auf Schritt und Tritt preisgibt. Im Gegenteil: er muss den Menschen, der auf der Bühne steht, irgendwie vom Alltag abschirmen, damit das, was er auf der Bühne tut, auch seine Heiligkeit bewahren kann. Sie wissen schon, was ich meine.