Anzeige
das kulturelle überformat
Nr. 10 / 4. Dezember 2007
#Kolumne von Markus Schneider, Berlin
  4/5
gedankengang
Kolumne von Markus Schneider, Berlin

hell und beheizt sein sollten. Der Komponist Alexander Moosbrugger, der Kurator des Bludenzer Festivals, stammt aus den umliegenden Bergen, lebt aber in Berlin und hatte ein schickes Programm zusammengestellt. «New Complexity» ist das neue Ding in der Neuen Musik, aber vor allem fiel bei den prächtigen Auftritten von Größen wie dem Cellisten Rohan de Saram oder dem Pianisten Ian Pace die enorme Sinnlichkeit der hochabstrakten Sounds auf. Sicher käme niemand auf die Idee, diese Musik mit nackten Hintern zu bebildern. Aber gegen die sexuelle Marktschreierei der gängigen Popvisionen wirkte die zarte Erotik des Dissonanten und Freitonalen nahezu befreiend. Natürlich fuchtelte hier auch niemand mit Geld. Weshalb andererseits die Pornographisierung der Popkultur so allgegenwärtig geworden ist, bleibt recht rätselhaft. Natürlich geht es schon immer und überall um Sex. Aber war nicht das Tolle an Kunst immer, dass sie drumherum entstand. Sublimiert oder wenigstens hip hergerichtet.

Stattdessen freuen sich heute die Kinder beim karibischen Jay-Z-Zögling Rihanna, die letzte Woche ein ausverkauftes Konzert gab, über deren Showgarderobe, die aussah wie aus dem Fetischladen, über Bewegungen wie aus dem jamaikanischen Stangentanz und eine Kamera, die der Frau immer von unten in den Schritt filmte. Diese unfasslich langweilige Überdeutlichkeit, so ganz ohne jeden Zauber, ohne Erotik und Begehren, bestimmt zunehmend alle Pop-Momente. In diesem Fall verödete sie sogar noch die großartige Dance-Single «Umbrella». Allerdings funktioniert in manchen Fällen das Pop-Porno-Geschrei extrem gut. Wie neulich beim Blowfly-Konzert in Berlin. Blowfly ist so um die 60 und bekannt für extravagante Versionen von Soul und Funkklassikern, die er in einem schlecht sitzenden Superheldenkostüm zu besten gibt. Sie heißen etwa «Spermy Night in Georgia» oder «What a Difference a Lay Makes». Blowfly wurde vor kurzem vom Altpunk Jello Biafra gesignt und quasi reanimiert, mir war er noch aus den frühen Achtzigern bekannt, als ich eine LP aus knallrotem Vinyl mit seinen Schmuddel-Raps erstand. Es war