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das kulturelle überformat
Nr. 8 / 2. Oktober 2007
#Interview mit Annie Lennox
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musik
Interview mit Annie Lennox

Annie Lennox, ich erinnere mich an die Präsentation der Live-8-DVD mit Bob Geldof in London. Sie sprangen damals auf und applaudierten ihm. Aber wurde am Ende eigentlich irgendetwas erreicht?

Schwer zu sagen, aber ich glaube, es wird nie genug getan sein. Ich hab nach dem letzten G8-Gipfel mit jemandem von der «Make Poverty History»-Kampagne gesprochen und ihn gefragt, was er davon hält. Er sagte, es wäre wohl ironisch, dass Millionen von Menschen in Armut leben und jeden Tag an allen möglichen vermeidbaren Krankheiten sterben, während diese Typen alle zwei Jahre ein paar Tage zwischen Kanapees und Tässchen von Tee verbringen und diese Themen kaum berühren. Niemand nimmt die Sache wirklich in die Hand. Es war ein Privileg, ein Teil von Live 8 sein zu können. Als Musikerin und als Mensch verspürte ich ein tiefes Bedürfnis, an so einem Ereignis teilzuhaben, das sich mit Fragen von Leben und Tod und Menschenrechten befasst. So etwas zu organisieren ist keine schwache Leistung. Schon allein der praktische Aufwand, aber auch die Abstraktion, Armut und Entwicklungshilfe in einem reichen Land wie unserem aufs Tapet zu bringen, wo man zwar arme Leute auf der Strasse sieht, aber im grossen Ganzen niemand Hunger leidet und barfuss gehen muss. Chronische weitreichende Armut ist ein grosser Schock, wenn man ihr zum ersten Mal ins Auge sieht. Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung. Ich

wusste schon, dass ich ein privilegiertes Leben führe. Ich wuchs in den Fünfzigern in einer schottischen Working-Class-Familie auf, und das bestimmt immer noch mein Bewusstsein. Aber der Anblick der Degradierung von Kindern und Erwachsenen, die im Dreck leben, ohne sauberes Wasser und sanitären Einrichtungen, ohne richtige Nahrung, medizinische Versorgung und ordentliche Behausung, mit einer Lebenserwartung, die in vielen Ländern durchschnittlich 34 Jahre beträgt, das ist eine Obszönität. Wie ist so etwas möglich? Das ist wie im Mittelalter, das ist das Ende der Welt. Wie können wir nach Hause fahren und das wieder vergessen?

Sie sprechen jetzt von einer Reise, die sie selbst gemacht haben?


Ich habe einige Reisen unternommen, und ich hab schon viel gesehen. Als ich mit einer Basisgruppe von HIV-Aktivistinnen eine ländliche Gemeinde in Uganda besuchte, war das ein phänomenales Erlebnis für mich. Ich wollte das schon seit Jahren machen. Wenn man heutzutage etwas in seinem Leben durchziehen will, muss man selektive Entscheidungen treffen, weil alles sehr spezialisiert ist. Aber ich bin mittlerweile in einer Position, in der ich öffentlich zu bestimmten Dingen Stellung beziehen kann. Ich gebe nicht vor, eine politische Expertin zu sein. Aber ich habe starke Gefühle und Leidenschaft, und meine Musik hat mir eine Plattform geschaffen, darüber zu reden. Als ich