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das kulturelle überformat
Nr. 7 / 4. September 2007
#Hintergrund
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dossier: Reggae
Hintergrund

Es gibt im Reggae nur wenige Live-Alben. Das ist keine Unterlassungssünde der Plattenfirmen, bloss eine Reflektion der Realitäten. Eine grossartige Ausnahme bildet «Live & Direct» von der Londoner Gruppe Aswad. Ausserhalb von England bemerkte dies allerdings kaum jemand – und das ist ebenfalls symptomatisch für die kuriosen Haken der Reggae- Geschichte. Das Datum der Aufnahme: das letzte Wochenende im August 1983 – ein «Bank Holiday» mit arbeitsfreiem Montag. Ort: Meanwhile Gardens, ein kleiner, arenaförmiger Park – eingeklemmt zwischen dem Grand Union Canal und der U-Bahnstation Westbourne Park. Es ist Sonntag, der Notting Hill Carnival ist in vollem Schwung.

Das heisst: so beswingt läuft die Sache nun auch wieder nicht. Denn seit den Krawallen von 1976, als sich jamaikanische Teenager und Polizei eine Strassenschlacht lieferten, die mehr als einhundert Polizisten und sechzig Partygänger ins Krankenhaus beförderte, sind die jungen weissen Londoner zwar fasziniert vom Carnival, aber auch ein bisschen eingeschüchtert. Der Riot von 1976 – ausgelöst, als einige Jugendliche einen festgenommenen Taschendieb befreien wollten – war eine mehr oder weniger spontane Zornesäusserung von jungen Schwarzen gewesen, die sich von den Autoritäten gewohnheitsmässig benachteiligt und respektlos behandelt fühlten. Für viele Briten kam dieses Unzufriedenheitsgewitter völlig überraschend. Es löste in der Öffentlichkeit eine heftige und jahrelange Diskussion darüber aus, ob und wie Einwanderer aus der Karibik diskriminiert würden, und wie sich Rassismus in der Sprache und in den Gewohnheiten des Alltages niederschlagen.

Die Diskussion polarisierte die Fronten. Auf der ultrarechten Seite erhielt die ausländerfeindliche National Front (kurz: NF, eine politische Partei mit Medienzugang) viel Aufwind, derweil die Linke sich mit der Gründung von «Rock Against Racism» und der Anti Nazi League (ANL) gegen den Vormarsch rassistischen