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das kulturelle überformat
Nr. 20 / 5. Dezember 2008
#Interview mit Uwe Timm
  4/5
literatur
Interview mit Uwe Timm

Man kann sich nun vorstellen, dass es immens schwierig ist, solch ein Buch zu gestalten, diese Struktur einzuhalten, in der nur die Toten reden, ohne erzählende Instanz, die leitet…

Ja, das kann man wohl sagen, denn ich habe drei Jahre daran gearbeitet. Ich habe fünfzehn durchgeschriebene Fassungen gemacht. Es ist aufgebaut wie ein Oratorium mit diesen verschiedenen Stimmen; darunter gibt es vier Soli-Stimmen und eine Art Chor. Ich denke, es ist so konstruiert, dass man diese Stimmen als Leser auch immer wieder zuordnen kann. Man muss sich darauf einlassen. Sicher ist es schwierig, das Buch zur Seite zu legen und ein paar Tage Pause zu machen; ich denke, man muss es in einem Gang durchlesen. Man muss diesen Hallraum in einem einzigen Leseakt bewältigen, so wie man ein Oratorium oder ein Musikstück durchhört.

Das Interessante an der Struktur ist auch, dass die sprechenden Stimmen von Toten stammen, und Tote dürfen bekanntlich alles über ihr Leben sagen, was sie wollen. Eine besonders pikante Ausgangssituation für einen Schriftsteller…


Ja, und eine perfekte dazu. Einerseits ist dies Vergangenheit, andererseits dauert diese an. Gerade wenn man über den Invalidenfriedhof in Berlin geht mit dieser katastrophalen deutschen Geschichte, da sprechen gewisse Tote heute noch zu einem. In dem Sinne, dass

sie auch noch heute eine Bedeutung haben, dass sie in unserem Bewusstsein sind und dass sie Sachen gesagt haben, an die wir uns erinnern. Das ist das Interessante daran: Tote sagen, was Sache ist. Sie rechtfertigen sich nicht. Darum gibt es in meinem Buch auch keinen pädagogischen Zeigefinger. Diese Stimmen stehen für sich…

…und die Leser müssen das für sich selbst bewerten…

Ja, genau. Die Bewertung wird nicht vom Autor vorgenommen, das muss der Leser leisten. Natürlich, gewisse dieser Figuren muss man eigentlich gar nicht kommentieren, zum Beispiel Heydrich.

Kommen wir auf die Hauptfigur zu sprechen, die erfolgreiche Fliegerin Marga von Etzdorf, die 1933 bei einer Zwischenlandung in Syrien Selbstmord begangen hat. Sie war damals erst 25 Jahre alt. Weshalb hat sie sich umgebracht?

Man kann nur mutmassen, verschiedene Sichtweisen auf diesen Selbstmord anstellen. Eine davon ist: Sie war eine begeisterte Fliegerin, sie hat ihr erstes Flugzeug selbst bezahlt. Aber dann hat sie sich da auch auf etwas eingelassen mit dieser frisch installierten nationalsozialistischen Regierung. Die haben ihr ein Flugzeug zur Verfügung gestellt, und plötzlich war sie im Waffenschmuggel tätig. Zuvor absolvierte sie