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das kulturelle überformat
Nr. 20 / 5. Dezember 2008
#Interview mit Uwe Timm
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literatur
Interview mit Uwe Timm

Reklame- und Passagierflüge; und plötzlich hat sie eine Maschinenpistole im Gepäck, die sie dann im Vorderen Orient herumzeigt, um Käufer für diese Waffe aus deutscher Produktion zu finden. Zudem spielt eine Liebesgeschichte hinein mit diesem Christian von Dahlem, der im Ersten Weltkrieg Jagdflieger war und nun auch Waffen schmuggelte. Der hat ihr diesen Job empfohlen. Zwischen den beiden gab es enttäuschte Liebe. Vielleicht aber war es einfach nur der Blick zum Himmel. Sie war eine sehr genaue Beobachterin der Wolken – und wer weiss, vielleicht gab es an jenem Tag eine seltsame Wolkenzusammenstellung. Jedenfalls muss etwas in ihrem Kopf vorgegangen sein. Sie, die erfahrene Fliegerin, die in Syrien mit dem Wind landete, was ein Anfängerfehler ist, und so erlitt sie eine Bruchlandung. Die Maschine, die ihr bloss geliehen war, geht dabei kaputt. Sie nimmt also diese Waffe, mit der sie eigentlich ins Geschäft hätte kommen sollen, geht mit ihr auf ihr Zimmer und erschiesst sich damit. Eine tragische Figur, diese Marga von Etzdorf, aber gleichzeitig auch eine sehr interessante, mutige Frau.

Sie haben gerade die Beobachtungen der Wolken angesprochen: die Art, wie Wolken in Ihrem Buch beschrieben sind, ist sehr poetisch. Nun lassen sich solche

Beobachtungen in einem herkömmlichen Passagierflugzeug gar nicht mehr anstellen. Fliegen Sie denn auch selber?

Ja, unser Fliegen ist eine ganz sterile Angelegenheit geworden. Wir sitzen da in diesen Druckkammern drin und gucken durch die Bullaugen hindurch. Das Fliegen war zu Zeiten von Marga von Etzdorf etwas ganz anderes. Sie sass ja frei in dieser Junkers-Maschine drin. Also in unmittelbarem Kontakt zu Luft, Sonne und Wolken, wenn man so will. Es gibt ganz beeindruckende Fotos von Marga von Etzdorf, braungebrannt bis auf die Umrisse der Fliegerbrille. Nein, ich persönlich kann nicht selber fliegen. Aber ich bin ein Segler und darum habe ich auch ein Verhältnis zu Wolken. Einerseits muss man sie betrachten, um herauszufinden, wie sich das Wetter entwickeln wird. Andererseits sehe ich gerne zu, wie Wolken treiben, sich verändern und ständig neue Formen hervorbringen. Etwas flapsig ausgedrückt: ich bin ein grosser Wolkengucker.



Uwe Timm: Halbschatten. Roman. 272 Seiten. Gebunden. Verlag Kiepenheuer & Witsch.
€ 18,95 / CHF 33,50

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