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das kulturelle überformat
Nr. 20 / 5. Dezember 2008
#Interview mit Uwe Timm
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literatur
Interview mit Uwe Timm

Uwe Timm, dieses schichtweise Abtragen von deutscher Geschichte, was interessiert Sie daran? Sind es die politischen Wendepunkte oder eher die persönlichen Ereignisse?

Beides. Ich komme aus einem deutsch-nationalen Haus, das hat mich in der Kindheit geprägt, und diese Prägung, diese Mentalität, die reicht weit bis in unsere Zeit hinein, auch wenn das heute nicht mehr so offensichtlich ist. Aber es lässt sich in aktuellen Diskussionen wiederfinden. Zum Beispiel Afghanistan: soll da die Bundeswehr eingesetzt werden, was ja eigentlich laut Grundgesetzt verboten ist, oder soll sie das eben nicht? Das ist eine Diskussion, die ja nicht aufhört. Wie verhält sich Deutschland, wie verhalten wir uns bei solchen militärischen Aktionen nach der katastrophalen Geschichte, die wir durchlebt haben? Ich glaube, das ist für mich sehr bestimmend, weil ich mich ja kritisch damit auseinandergesetzt habe, auch schon als Jugendlicher. Das ist schon grundlegend gewesen, diese Diskussion: was ist Autorität, was ist Pflicht, was Gehorsam? Was Kadavergehorsam zu bedeuten hat in der deutschen Geschichte, und was eben zu fürchterlichen Auswüchsen geführt hat im Dritten Reich, zum Beispiel dem Holocaust.

Sie sprechen damit die Zeit von 1968 an, als alles in Frage gestellt wurde, was die vorherige Generation für richtig hielt.

Die Generation, die unter dem Nationalsozialismus aufgewachsen ist oder vielleicht sogar daran teilgenommen hat. Ist dies das grosse Aufwachen hinterher, wenn man feststellt, dass das alles noch nachwirkt?

Ja. Es ist zumindest ein anderer Blick auf diejenigen, die damals Täter waren. 1968 hat man sich damit noch nicht richtig beschäftigen wollen, auch ich nicht. Man wollte das einfach nicht. Und nun ist der Moment gekommen, in dem man sich fragt: wie kommt es dazu, dass Menschen bereitwillig töten, und auch bereitwillig sich töten lassen. Das ist doch die zentrale Frage. Und das ist nicht einmal eine abstrakt-intellektuelle Frage; da geht es auch zentral um Emotionen. Was sind das für Menschen, was sind das für Emotionen, die jegliche Empathie ausschliessen? Man kann ja nicht mit Mitgefühl Menschen erschiessen. Also, was ist das für ein Bewusstsein, was für eine Sprache wird da eingesetzt, die da verhindert, dass Mitleid entsteht? Das ist ein Aspekt, der sich auch in meinem neuen Roman verfolgen lässt. Die Sprache der Marga von Etzdorf – fiktional ausgeführt –ist eine ganz andere Sprache als jene von Heydrich. Man muss da einfach genau hinhören, da gibt es sehr verschiedene Sprachschichten; da gibt es ein paar, die fast versunken vor sich hingeistern, und andere sind dagegen ganz aktuell. Wie werden da Gefühle durch Sprache abgetastet? Das ist eine interessante Frage…