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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Interview mit Robert Wyatt
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musik
Interview mit Robert Wyatt

War Ihre Entscheidung, mit Rockgruppen in Tanzhallen zu spielen, auch eine Abwendung vom kulturellen Snobismus Ihrer Herkunft?

Mein Vater starb, als ich achtzehn war, also wusste er nie, was ich später machen würde, aber er war schockiert, als ich meine Violine, auf der ich zwei Jahre lang gelernt hatte, gegen eine Trompete tauschte. Er sagte, niemand hätte grosse Konzerte für die Trompete geschrieben. Ich erklärte ihm, dass es dafür Miles Davis und Gil Evans gäbe. Aber das war etwas, das er nicht begreifen konnte. Der Gedanke war für ihn unerreichbar. Das machte mich traurig, aber man muss eben seinem Weg folgen. Ich liebte jedenfalls die Musik, mit der er mich grossgezogen hatte: europäische klassische Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Sie haben einmal erzählt, Ihre Eltern hätten in der Überzeugung gelebt, dass die Welt ein anständigerer Ort werden würde. Angesichts der Richtung, in die die Welt fortschreitet, ist der Fortschritt an sich schon lange keine verlässlich positive Grösse mehr.

Ich wurde zwar erst 1945 geboren, aber ich erinnere mich an das allgemeine Aufatmen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich muss gewissermassen per Osmose einen Eindruck dieser Erleichterung aufgeschnappt haben. Ein ganzer Haufen Probleme war erfolgreich bewältigt worden, nicht bloss in Bezug auf nationale Rivalitäten und wer wen besiegt

hatte, sondern auch im Sinne der Implikationen für uns Briten: wenn wir einen Krieg gegen Rassismus geführt hatten, dann bedeutete das für uns unausweichlich, dass wir ab jetzt moralisch zur Auflösung der Kolonien des britischen Empire verpflichtet waren. So interpretierten meine Eltern die Lage. Nachdem wir selbst all die Jahre lang in der Dritten Welt gewissermassen die Rolle der Nazis gespielt und aller Welt das aufgezwungen hatten, was wir als eine überlegene Kultur erachteten, hatten wir nun zum ersten Mal einen kleinen Blick darauf geworfen, wie sich das für die andere Seite anfühlen muss. Wir hatten die Geschichte aus dem Blickwinkel der Opfer gesehen, ob sie nun Zigeuner oder Juden waren. Und die Erkenntnis, die daraus folgte, empfanden meine Eltern als Fortschritt.

Leider scheint es ja dieser Tage eher so, als wäre die hauptsächliche Erkenntnis, die die angelsächsische Welt aus dem Zweiten Weltkrieg mitgenommen hat, dass man das Böse suchen und ausschalten muss.

Ja, aber mit ungefähr achteinhalb Jahren sollte man dieser Comic-Strip-artigen Welt eigentlich entwachsen sein. Es ist beunruhigend, wie viel Ansehen diese auf einer Karikatur beruhende infantile Weltsicht bis heute unter den Regierenden geniesst. Ich wurde in einer Atmosphäre grossgezogen, die nicht besonders linksgerichtet, aber zumindest in diesem Aspekt anti-elitär war. Im kulturellen