war und die Schule verliess, ging ich nach Spanien, und ein paar meiner Freunde machten sich unterdessen in unserem Haus breit. Ich habe Fotos davon gesehen. Sie hatten viel Spass da, aber ich war nicht dabei. In Wahrheit ist das wohl einer der Gründe, warum meine Eltern das Haus verkauften und auszogen, weil sie die ehemaligen alten Freunde von mir, die dauernd Platten spielten und sich blendend amüsierten, nicht loswerden konnten. Ich hatte ja schon früh Freunde in der Schule gehabt, mit denen ich zusammen Platten hörte, aber von denen wurde keiner ein Musiker. Da gab es zum Beispiel Ted Bing, der wurde ein Nerz-Züchter in Norwegen. Also bitte, der ist wahrscheinlich der einzige Nerz-Züchter, der Ornette Colemans gesamtes frühes Repertoire auswendig singen kann.
Das ist sehr interessant. Wenn diverse Autoren der Popgeschichte ihre diversen Darstellungen der Hergänge abgeben, entwerfen sie dabei ja immer bestimmte Erzählstränge und...
…Ja, das tun sie, und deshalb glaube ich auch grundsätzlich nicht an Geschichte. Da kommt bestenfalls eine Erzählung zum Vorschein, die auf der Realität basiert. Aber der Mythos entwickelt ein Eigenleben und ist wesentlich stärker und vielleicht auch interessanter, als was tatsächlich passiert ist. Mich stört das überhaupt nicht. Es hat bloss nichts mit meiner Musik oder meinem Innenleben als Musiker zu tun. Als einmal ein Film über das
Leben von Quentin Crisp gedreht wurde, sagte der Hauptdarsteller zu Crisp: «Wir werden wirklich versuchen, authentisch zu sein. Wir wollen, dass es Ihrem Leben so nahe wie möglich kommt.» Und Crisp antwortete: «Oh Gott, ich will doch sehr hoffen, dass es interessanter wird als das.» Grossartig.
Um auf die angesprochenen etablierten Erzählstränge zurückzukommen: da gibt es etwa die weitverbreitete Geschichte der Arbeiterklasse, die über die Popkultur ins Showbusiness-Establishment eingedrungen ist. Aber es wird nicht so oft erklärt, wie sich junge Jazz-Hörer wie Sie dem Rock’n’Roll öffneten. Hatten Sie damals je Bedenken beim Überschreiten dieser Grenzen?
Ich sicher nicht. Für mich war es aufregend, für ein tanzendes Publikum zu spielen. In den mittleren Sechzigern spielten wir ja oft bei lokalen Tanzveranstaltungen. Das Gefühl, einen Groove vorzugeben, zu dem der ganze Laden tanzt, war wunderbar. Es war belebend. So dankbar ich den Jazz-Schlagzeugern auch dafür war, was sie mir beigebracht hatten, so gern hörte ich mir die Musik von Allen Toussaint, Lee Dorsey oder Soul-Platten von Solomon Burke an. Ich hatte immer einen ausgeprägten Hang zu schwarzer Musik. Duke Ellington genauso wie Ornette Coleman oder Cecil Taylor und bis hin zu Reggae und afrikanischer Musik. Das waren immer meine musikalischen Referenzen: die schwarzen Beiträge zur Avantgarde und zur Popmusik.