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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Interview mit Robert Wyatt
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musik
Interview mit Robert Wyatt

die Platten von Miles Davis und Gil Evans für mich so endlos bereichernd und berührend sind. Oder warum Otis Reddings «Try a Little Tenderness» für mich immer noch so ergreifend ist. In diesem Sinne habe ich mich nicht verändert. Was aus mir herauskommt, reflektiert endlos meine Vorstellung davon, was man mit Musik machen kann. Es wäre also vollkommen künstlich, wenn ich versuchen würde, mich neu zu erfinden. Wenn mein achtzehnjähriges Ich heute bei mir zu Besuch käme, würde er sich unter meinen Büchern, Bildern und Platten sehr zuhause fühlen.

Einige dieser Platten wurden gemacht, als Sie noch im Londoner Vorort Twickenham lebten. Vor zwanzig Jahren zogen Sie dann nach Lincolnshire. Leben Sie da nicht etwas isoliert, wenn gerade niemand aus London zu Besuch kommt?


Ich hab schon neue Freunde gewonnen, darunter übrigens auch ein paar Musiker. Dave Tomlinson, der bei der Band Magazine war, lebt in meiner Stadt, und ich habe ein bisschen auf seinem neuen Projekt herumgetrötet. Aber grundsätzlich komme ich runter nach London, um meine Platten zu machen. Phil Manzanera überlässt uns freundlicherweise dieses Studio zur freien Verwendung. Unter der Woche ist er hier mit seiner Frau Claire, und übers Wochenende lässt er uns allein hier bleiben. Das Grossartige an diesem Studio ist, dass es für alle gut erreichbar ist, ob für Brian Eno

oder Yaron Stavi. Die können sich einfach auf ein Fahrrad oder in einen Bus setzen und sind in zehn Minuten da. Wenn ich hier ankomme, tragen mich zwei Männer, die im Bildhaueratelier im Erdgeschoss arbeiten, in den zweiten Stock hinauf. Das Stiegenhaus ist so weitläufig und steil, dass ich einfach hier oben bleibe, bis ich mit meiner Arbeit fertig bin. Und dann fahre ich direkt wieder zurück nach Lincolnshire. Ich sehe also nichts von der Umgebung. Aber ich mag die Aussicht über die Bahnanlage. Grundsätzlich verlassen wir Lincolnshire nicht sehr oft, weil Alfies Mutter, die ein paar Schlaganfälle hinter sich hat, bei uns wohnt, und wir sie nicht lange allein lassen wollen. Wir kommen also nur hierher, wenn es um was Ernsthaftes geht. Abgesehen davon muss Alfie alle sechs Wochen nach London fahren, um sich eine Lucentis-Injektion für ihre Augen verpassen zu lassen. Sie hat eine chronische Augenkrankheit.

Das ist sehr teuer, oder?

Es ist ganz erstaunlich teuer. Eine unserer Freundinnen, ich werde sie namentlich nennen, ist Delfina Entrecanales. Sie war für uns da, als ich meinen Unfall hatte. Sie gab uns ein Quartier, weil wir überhaupt kein Geld und keinen Ort zum Leben hatten. Sie hatte eine Farm in Wiltshire, sie brachte uns dort unter, und ich nahm da neben «Rock Bottom» auch noch ein paar andere Sachen mit Carla Bley und Michael Mantler auf. Sie ist eine