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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Sven Regener
  9/12
literatur
Sven Regener

Wobei es aber auch eine sehr spezielle Zeit war.

Ja, klar, die Genialen Dilettanten und so. Dass man wie Wolfgang Müller (Mitglied des Art- Punk-Projekts Die Tödliche Doris, der als Herausgeber eines gleichnamigen Merve- Buches den Begriff bekannt machte, Anm. des Autors) auf sowas kommt und das postuliert, das ist ja auch eine grossartige Leistung. Dass man sagt: Natürlich ist das Quatsch, natürlich können wir das nicht – das ist ja grad der Witz, dass wir das nicht können, ihr Idioten. Was seid ihr denn für Spiesser? Dass man das alles eben umwerten kann, wie man gerade will, das passt in die Zeit, aber auch in das Alter. Daher kommt das immer wieder. Ich weiss zwar heute nicht mehr, was die Jungen da so machen, in Mitte und Friedrichshain, aber ich bin sicher, da gibt es sowas.

In «Der kleine Bruder» baut sich Lehmann in dieser Szene innerhalb von 48 Stunden ein neues Leben auf. War das denn so offen?

Naja, es gibt geschlossene Szenen im Buch, diese Arsch-Art-Leute, die Avantgarde-Kunst. Auch die Punks im Hinterhaus. Andererseits gibt es aber auch so frei flottierende Gestalten wie Karl, mit dem sich Lehmann anfreundet, oder der verstossene Arsch-Art- Mann Martin Bosbach. Ich glaube, das waren die Art Leute, auf die ich gestossen bin. Bei Zatopek (einer Band, bei der Regener Anfang

der Achtziger spielte, Anm. des Autors), das waren offenere Systeme. Die ganze No-Funk-, Punkfunk-Szene, die Bläser hatten, die brauchten eigentlich immer jemanden, der Trompete spielt – letztendlich brauchte man nur so eine Eintrittskarte. Und bei Frank Lehmann ist das eben sein Bruder.

Eigentlich wird er aber in das neue Leben reingeschubst.

Ja klar, von mir. Das war meine Entscheidung, dass er am Ende von «Neue Vahr Süd» in Bremen gar nicht mehr weitermachen kann. Deshalb ist «Neue Vahr Süd» auch so ein umfangreiches Buch geworden, weil die einzelnen Sachen so wichtig sind. Die Eltern: Er kann nicht zu den Eltern zurück. Das wäre die definitive, endgültige, lebenslange Niederlage, wo er doch wie ein Blödmann daran gearbeitet hat, endlich aus der Neuen Vahr Süd raus zu kommen. Er kann nicht mehr in der Kaserne wohnen, er hat keine Wohnung mehr bei seinen Kumpels. Auch das Mädchen kann ihm nicht helfen – was soll er denn machen? Er kann nur noch zu seinem Bruder nach Berlin, er hat keine andere Wahl.

Es ist interessant, dass sein Bremer Punk-Kumpel Wolli, mit dem er hinfährt und der in Berlin Punk sein will, komplett scheitert, und Lehmann, der erstmal nur schauen will, was die da so treiben, doch sehr gesund hineinrutscht.