«Herr Lehmann» war also ein annähernder, erster Schritt zurück in der Zeit?
Das war wirklich interessant und hat mir in dieser Hinsicht auch bei den beiden letzten Büchern, die viel weiter zurückliegen, viel mehr Spass gemacht, mich viel mehr beeindruckt und fasziniert. «Herr Lehmann» war ja viel näher an mir dran, erstmal weil ich das Buch acht Jahre früher geschrieben hab und es auch neun Jahre später spielt, also in Grunde 17 Jahre weniger Distanz. Als ich «Herr Lehmann» 2000 angefangen habe, war das ja gerade mal zehn Jahre her, das ist nicht lang.
So ein Mauerfall, der «Herr Lehmann» ja beschattet, ist auch eine andere Ereigniskategorie, als sagen wir die bizarre Lesung des aktionistischen Poeten H.R. in «Der kleine Bruder», die so eine typische Kunstaktion dieser Tage ist. (Regener lacht.) Das finde ich auch deswegen grossartig erzählt, weil man sich, wenn man damals dabei war, eigentlich denkt, sowas kannst du niemandem erzählen.
Und wieviel Spass das auch gemacht hat, nicht? (Lacht.)
Ja, schon. Aber interessant finde ich auch, wie Sie sofort diese protestantische Arbeitsethik mit reinbringen, die ja auch am Grunde von Lehmanns Stoizismus zu liegen
scheint: Alle halten das für Scheisse, aber man findet auch, dass es eine verdammte Pflicht ist zu bleiben.
Ja (ausgiebiges Kichern), als Karl zu Klaus sagt: «Du kannst jetzt nicht nach Hause gehen!» Stimmt, es hat allen Spass gemacht, aber es konnte auch sehr mühsam sein. Es gibt bei «Herr Lehmann» diese schöne Szene, wo sie nachts im «Abfall» (eine der Kreuzberger Kneipen, die Lehmann und seine Freunde frequentieren, Anm. des Autors) sitzen und Karl sagt: «Ich hab da diese Ausstellung in der Knesebeckstrasse», und der andere sagt: «Boah, da müssen wieder alle hin.» Diese Weltreise mit der U-Bahn da raus, und sich wieder da hinstellen, saurer Weisswein, Brötchen, die im Rad geliefert werden, die man sich so abbrechen kann. Da müssen jetzt alle nach Charlottenburg (lacht).
Natürlich gibt es diese Pflicht irgendwie bis heute, nicht wahr, in der Subkultur der Boheme?
Wenn man sich für ein bestimmtes Leben entscheidet, gibt es immer Dinge, von denen man glaubt, man muss sie machen, und es gibt Dinge, die man gern und freiwillig macht. Oft vermischt sich das auch. Man denkt, man macht etwas aus Spass und stellt im Rückblick fest, dass man es nur getan hat, weil es von einem erwartet wurde.