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das kulturelle überformat
Nr. 19 / 10. November 2008
#Sven Regener
  6/12
literatur
Sven Regener

Die Lehmann-Trilogie beginnt im Jahr 1989, endet 1980, und im Mittelteil bekommt man die Vorgeschichte geliefert. Wie kam es denn zu der ungewöhnlichen Chronologie der Teile?

Im Grunde hab ich ja nur das letzte Buch zuerst veröffentlicht und zuerst geschrieben. Ich hatte sehr, sehr lange über die Bücher nachgedacht, bevor ich überhaupt angefangen hab. Ich hätte auch mit «Neue Vahr Süd» anfangen können, aber die Figur ist mir ja zugelaufen über das erste Kapitel von «Herr Lehmann» (in dem dieser am frühen Kreuzberger Morgen auf einen bedrohlichen, herrenlosen Hund trifft), und die hatte ich schon lang vorher geschrieben. Es schien mir einfacher, da weiterzumachen. Auch für mich als Autor – das erste Buch, das ich überhaupt geschrieben hatte, da geht man nicht leichtfertig hin und sagt, ich will mal eben so ein Buch schreiben wie «Neue Vahr Süd». Das war schon anspruchsvoller, sperriger und ist ja auch auf ganz andere Art ausgeufert, als ich dachte.

Wegen des eigenen zeitlichen Abstands zur Lebenswelt Lehmanns?


Ja auch, räumlich, zeitlich. Zudem gab es dieses Hin- und Herchangieren zwischen den zwei Welten, der Welt der Armee und der zivilen Hippiewelt in dieser WG im Bremer Steintor-Viertel – diese Extreme. Da muss man schon sehr viel über die Figur wissen, um

einzuschätzen, wieviel sie davon aushält, wie lange das gut geht. «Herr Lehmann» war der perfekte Einstieg. Ich glaube, das gilt auch fürs Lesen. Wenn ich «Neue Vahr Süd» zuerst veröffentlicht hätte – das kann ich jedenfalls im Nachhinein so sagen – glaube ich nicht, dass das so ein Erfolg geworden wäre. Das wäre zu sperrig und zu schwierig gewesen.

Naja, es wäre sicher auch ganz anders geworden.

Da geht’s schon mal los. Aber so war es auch besser, um sich für diesen Typen zu interessieren und dadurch die Neugier für seine Vorgeschichte zu wecken. Weil es ja schon bei «Herr Lehmann» so war, dass wenn man jemandem erzählt hat, du, ich mach ein Buch über einen Typen, der in Kreuzberg lebt und in einer Kneipe arbeitet, also: Schnarch, nicht? Das wird ja wohl nix. Aber noch schlimmer: Du, ich mach ein Buch über jemanden 1980 in Bremen, der im Steintor wohnt, bei der Bundeswehr ist und damit nicht klar kommt – puh. Also eigentlich war – so sieht’s im Nachhinein aus – «Herr Lehmann» ein guter Aufhänger, um das Interesse für so eine seltsame Geschichte wie «Neue Vahr Süd» zu wecken. Wenn ich das so geplant hätte, wär’s ganz schön raffiniert gewesen.

«Der kleine Bruder» ist von der erzählten Zeit her betrachtet ein sehr konzentrierter Abschluss. Es geht nur um zwei Tage. Ich